"Zarah" Als Frauen die Redaktionen eroberten

Hamburg · Heute startet das ZDF mit "Zarah" eine Journalismus-Serie, die Anfang der 70er Jahre spielt. In der Redaktion wurde geraucht und getrunken, die Männer hatten das Sagen. Vieles hat sich seitdem geändert, eine Sache nicht.

Die Anhänger von Fake-Nachrichten werden sich bestätigt fühlen, wenn sie heute Abend die neue ZDF-Serie "Zarah" anschauen: Ständig besoffen und das Hirn total vernebelt dank ständigen Zigaretten-Konsums, so arbeiten Redakteure - kein Wunder, dass sie nichts auf die Reihe kriegen und die wahren Nachrichten verpassen.

Die Serie erzählt vom Aufstieg der Journalistin Zarah Wolf, gespielt von Claudia Eisinger, die Anfang der 70er Jahre stellvertretende Chefredakteurin des fiktiven Hamburger Magazins "Relevant" wird. Wer mag, darf darin den "Stern" wiedererkennen, denn beide Redaktionen zeigen oder zeigten gerne nackte Frauen auf dem Cover. Deshalb heißt die erste Folge auch "Titel und Titten". Das bleibt nicht der einzige Kraftausdruck. Der "Traumschiff"-gewöhnte ZDF-Zuschauer verschluckt sich angesichts der Wortwahl womöglich an seiner Weinbrandbohne.

Die Serie spielt im Jahr 1973, meinem Geburtsjahr, und ist überschrieben mit "Wilde Jahre". Wild ging es damals in dieser fiktiven Redaktion tatsächlich zu. Deren Journalisten gehen schon mittags in die Kneipe und bestellen sich zum Bier ein paar Kümmerlinge. Während der Konferenzen stehen Zigaretten-Spender auf dem Tisch, das Gegenüber ist in dichten Qualm gehüllt. Durch die Büros schiebt die Servierdame ein Wägelchen, nicht etwa beladen mit Kaffee, sondern mit Bierflaschen und im unteren Regal mit Flachmännern mit Schnaps und Cognac. Ist der Pegel erreicht, erleichtert sich der Redakteur auch schon mal in den Papierkorb.

Ich bin mir nicht so sicher, ob diese wilden Jahre erstens wirklich so wild und zweitens auch die besten Jahre für den Journalismus waren. Für die Leber und Lungen der Redakteure waren sie es keinesfalls. Fast überflüssig zu erwähnen, dass es solche Gelage heute nicht mehr gibt. Die Raucher müssen selbstverständlich alle nach draußen und stehen in Bushaltestellen-ähnlichen Häuschen. Die Papierkörbe sind auch sicher - so eine Ferkelei macht ja noch nicht mal der in den Leserkommentaren viel und oft geschmähte "Praktikant". Und dem wird schließlich alles zugetraut.

"Zarah" ist aber keine Geschichte des Rauchens und Trinkens (und verdiente deshalb auch nicht so große Aufmerksamkeit), sondern eine der Emanzipation. Und dabei ist die Serie auch 40 Jahre später immer noch aktuell. Zarah Wolf muss sich gegen eine Männerriege durchsetzen, die zusammengluckt und sie ausbremst. Als sie sich beim Mittagstisch in der Kantine zu den Kollegen setzt, als diese gerade die Rolle des US-Präsidenten Nixon analysieren, sagt ihr ein Kollege: "Wenn Sie bitte nicht stören würden - wir sprechen hier gerade über Politik."

Zarah Wolf ist keine reale Figur, aber selbstverständlich - und das geben die Drehbuchautoren Eva und Volker A. Zahn offen zu - haben sie sich beim Rollenprofil "schamlos in der Wirklichkeit bedient". Zum Beispiel bei Biografien der Journalistinnen der 60er und 70er Jahre wie Ingrid Kolb (unter anderem "Stern"), Peggy Parnass ("Konkret"), Alice Schwarzer ("Emma") oder Wibke Bruhns, die im Mai 1971 als erste Frau eine Nachrichtensendung ("Heute") präsentierte. Als Reaktion darauf ereiferten sich Zuschauer, warum sie sich nicht daheim um Mann und Kinder kümmere.

Ist der Kampf gegen Sexismus und männliche Dominanz veraltet? Mitnichten. Auch heute noch sind es überwiegend Männer, die der Republik die Welt erklären. Wie eine Studie des Instituts für Medienforschung der Universität Rostock ergeben hat, dominieren Männer zum Beispiel im Fernsehen die Sprecherrollen. In der nonfiktionalen Unterhaltung sind nur vier Prozent Sprecherinnen. Knapp 80 Prozent der befragten Experten sind Männer.

Auch in Zeitungs- und Online-Redaktionen sieht es nicht so viel anders aus. Das Bündnis "Pro Quote", das sich für mehr weibliches Führungspersonal (mindestens 30 Prozent) in den Medien einsetzt, hat ermittelt: Nur drei Prozent aller Chefredakteure der rund 360 deutschen Tages- und Wochenzeitungen sind Frauen. Nur zwei von zehn Anstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks werden von Intendantinnen geführt. Und nur jede 20. Regionalzeitung wird von einer Chefredakteurin verantwortet.

Auch die "Rheinische Post" nicht. Immerhin: Es gibt ein weibliches Mitglied der Chefredaktion, Ressortleiterinnen, Lokalchefinnen. Der Anteil verändert sich, ausgeglichen ist er aber noch nicht.

Die Autorin leitet das Ressort NRW.

(mso)
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