Analyse Wann darf mein Chef mich jetzt überwachen?

Berlin · Das Bundesarbeitsgericht hat die Grenzen, unter welchen Umständen Arbeitnehmer überwacht werden dürfen, noch enger gezogen. Einer ausgespähten Sekretärin sprach das Gericht 1000 Euro Schmerzensgeld zu.

 Eine Überwachungskamera im Einsatz.

Eine Überwachungskamera im Einsatz.

Foto: ddp

Arbeitgeber und Arbeitnehmer kämpfen mitunter mit harten Bandagen. In einer Flut von Prozessen müssen die Gerichte immer wieder ausloten, was man sich gegenseitig zumuten darf. Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt musste gestern über den Fall einer vom Arzt krankgeschriebenen Sekretärin urteilen, die im Auftrag ihres Chefs von einem Privatdetektiv überwacht wurde.

Hat die Sekretärin gegen ihren Arbeitgeber gewonnen?

Ursprünglich forderte die Frau 10.500 Euro Schmerzensgeld wegen eines schweren Eingriffs in ihre Persönlichkeitsrechte. Das Bundesarbeitsgericht sprach ihr 1000 Euro zu. Das heißt, die Frau hat zwar Recht bekommen. Ihr Arbeitgeber, der sie nur im öffentlichen Raum filmen ließ, wird aber nicht mit einer hohen Sanktion bestraft.

Was ändert das Urteil?

Die Richter in Erfurt haben enge Grenzen gezogen, unter welchen Umständen Arbeitgeber ihre Angestellten beobachten dürfen. Grundsätzlich werten sie die filmische Überwachung als einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Die Richter legten fest, dass nur bei einem auf Tatsachen beruhenden, konkreten Verdacht einer schweren Pflichtverletzung eine Überwachung zulässig ist. Mit dem Urteil legten sie auch fest, dass Arbeitnehmern, die zu Unrecht überwacht werden, eine Entschädigung zusteht.

Wie dürfen Arbeitnehmer künftig noch überwacht werden?

Das jüngste Urteil aus Erfurt bewegt sich im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung. Demnach muss es eben einen gut begründeten Verdacht gegen den betroffenen Mitarbeiter geben, dass er Wertgegenstände stiehlt, Geld hinterzieht oder blaumacht. Auch muss die Überwachung verhältnismäßig sein und darf nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Filmaufnahmen in Umkleideräumen und Toiletten sind absolut tabu. Eine ständige Überwachung von Mitarbeitern ist ebenfalls nicht erlaubt. Fest installierte Kameras in Verkaufsräumen werden allerdings toleriert, wenn darauf deutlich hingewiesen wird. Sie dienen dazu, Personal und Kunden von Diebstählen abzuhalten. Unproblematisch ist die Arbeitszeiterfassung mit Stechuhren, die ja auch eine Überwachung darstellt. Jeder Toilettengang eines Mitarbeiters darf aber nicht dokumentiert werden.

Womit müssen Arbeitgeber rechnen, die Grenzen überschreiten?

Bislang bewegen sich die gerichtlichen Sanktionen gegen Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter zu Unrecht oder übermäßig überwachen ließen, im Rahmen von 600 bis 7000 Euro. Aus Sicht der Gewerkschaften ist die Summe zu niedrig, um wirklich abschreckend auf die Firmen zu wirken.

Wird in Deutschland so viel blaugemacht, dass Arbeitgeber ihren Angestellten zu Recht misstrauen?

Nach einer Forsa-Umfrage, die vor einem Jahr veröffentlicht wurde, hat jeder neunte Erwerbstätige (elf Prozent) schon einmal blaugemacht. Der Befragung zufolge feiern Jüngere häufiger krank als Ältere. Unter den 18- bis 29-Jährigen haben schon 23 Prozent blaugemacht. Bei den Beschäftigten über 50 Jahre waren es nur neun Prozent. Von denen, die sich zum Krankfeiern bekannten, gaben 43 Prozent an, dass sie eine kurze Auszeit wegen hoher beruflicher Anforderungen brauchten. Mehr als jeder Dritte nannte wichtige private Termine als Grund.

In welchen Branchen sind die Arbeitgeber besonders misstrauisch?

Besonders viele Überwachungen gibt es nach der Erfahrung von Arbeitsrechtlern im Einzelhandel. Die Branche gilt als sehr anfällig für Diebstahl und Manipulationen. Der Einzelhandelsverband geht davon aus, dass die jährliche Inventurdifferenz von vier Milliarden Euro zu einem Viertel auf Diebstähle durch eigene Mitarbeiter zurückzuführen ist.

Ist der Discounter Lidl aus diesem Grund vor einigen Jahren wegen Stasi-Methoden in die Schlagzeilen geraten?

Lidl ging damals mit seiner Bespitzelung der Mitarbeiter weit über eine Überwachung der Verkaufsräume hinaus. 2008 kamen auch Gesprächsprotokolle von Mitarbeitern an die Öffentlichkeit, die sich im Pausenraum über ihre Freizeitgestaltung oder private Geldsorgen unterhielten. Infolge des Skandals von 2008 musste Lidl knapp 1,5 Millionen Euro Strafe zahlen. Auch die Telekom und die Deutsche Bahn waren in Skandale um die Überwachung von Mitarbeitern verwickelt. Die Telekom wollte mit Bespitzelungen nach eigenen Angaben "undichte Stellen" im Konzern identifizieren. Die Bahn stand in der Kritik, weil sie ihre Manager überwacht haben soll.

Was sagen Arbeitgeber zu dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts?

Ein Sprecher des Bundesverbandes der Arbeitgeber betonte, dass der Schutz personenbezogener Daten der Mitarbeiter für die Unternehmen ein hohes Gut sei, mit dem sie verantwortungsvoll umgingen. Mit dem Urteil zeigten sie sich nicht zufrieden. Bei einem Verdacht auf Arbeitspflichtverletzungen müssten die Unternehmen in der Lage sein, einen bestehenden Verdacht zu erhärten oder auszuräumen, sagte der Sprecher. "Hierfür müssen dem Arbeitgeber die notwendigen Instrumente zur Verfügung stehen." Welche Mittel eingesetzt werden, müsste im Einzelfall abgewogen werden.

Was meinen die Gewerkschaften?

Die Vize-Chefin des Gewerkschaftsbundes (DGB), Annelie Buntenbach, ist ebenfalls nicht ganz zufrieden mit dem Richterspruch. "Das Urteil ist ein richtiger Schritt, lässt aber immer noch zu viel Spielraum für Arbeitgeber", sagte sie unserer Zeitung. "Besser wäre es, die verdeckte Überwachung generell zu verbieten, wie es der DGB schon lange fordert", betonte Buntenbach. Bei konkreten Verdachtsmomenten solle der Arbeitgeber nicht Detektive, sondern die Polizei einschalten.

(RP)
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