Berlin 15 Jahre Merkel-CDU

Berlin · Aus der Übergangslösung ist eine beherrschende, fast erdrückende Kraft geworden. Seit 15 Jahren führt eine Ostdeutsche die im Westen geprägte Partei, die unter ihr moderner, aber auch profilärmer geworden ist. Für die Gegenwart stärkt das die Partei - aber auch das zukünftige Risiko.

Fünf Monate noch, dann hat sie Konrad Adenauer geschafft, dann ist Angela Merkel länger an der Spitze der CDU als deren Gründer. Die 15 Jahre Vorsitz weisen jedoch mehr Parallelen zu Helmut Kohls Zeiten auf, der noch ein Jahrzehnt länger die Christdemokraten anführte und der ähnlich wie sie die Partei derart modernisierte, dass manche das konservative Profil einer Beliebigkeit des 70er-Jahre-Zeitgeistes geopfert sahen. Merkel machte es drei Jahrzehnte später gründlicher, entschiedener und erfolgreicher.

Dabei hatten wichtige Protagonisten aus der Führungsriege den Parteivorsitz für die bisherige Generalsekretärin eigentlich als Übergangslösung angesehen. Im April 2000 war das. Der Schock des Machtverlustes von 1998 steckte noch in den Knochen, und in dem Beben der Parteispendenaffäre war auch Kohl-Nachfolger Wolfgang Schäuble vom Podest des Parteichefs gestoßen worden.

Bis zu ihrer Wahl an die CDU-Spitze hatte Merkel eine wenig geplante und deshalb kurvenreiche Karriere hingelegt. Mit ihrem Engagement für den Demokratischen Aufbruch in der DDR hatte sie aufs falsche Pferd gesetzt und nur 0,9 Prozent erreicht. Doch es hatte gereicht, um als Pressesprecherin aufzufallen, die schwierige Persönlichkeiten zu einem brauchbaren Ergebnis zusammenbinden konnte. Die Bewährungschancen kamen: als Vize-Regierungssprecherin in Ost-Berlin, dann in der Ausfüllung von Kohls Raster (klug, jung, Frau, Ost) als Familienministerin und "Kohls Mädchen" in Bonn. Emotionale Schocks bei der Kollision mit rauen Machtmechanismen überwand sie schnell.

Und als es nach dem Machtverlust darum ging, die CDU als Generalsekretärin wieder mit aufzubauen, ging sie - wie später im Kanzleramt - lernend, abwartend, analysierend und dann im richtigen Moment entschieden zupackend zu Werk. So zog sie einen riskanten und für viele schmerzlichen Schnitt zwischen der Partei und ihrem jahrzehntelangen Idol und löste die CDU aus Kohls Parteispendensumpf. Und so griff sie 2000 zu, als auch Schäuble weichen musste.

Sie warb für eine mutigere CDU, auch in der Konzeption von Politikentwürfen. Zielstrebig verlegte sie die Betonung von "sozial" auf "Marktwirtschaft". Ihr Bild von einer mehrheitsfähigen CDU handelte von Steuererklärungen, die auf einen Bierdeckel passen, und von Kopfpauschalen, die das Gesundheitssystem sanieren. Doch vor den Wähler trat sie damit später. Nach anderthalb Jahren spürte sie den noch nicht überwundenen Vorbehalt gegen sie - und reagierte mit Machtinstinkt: Statt sich in eine Niederlage treiben zu lassen, agierte sie selbst, fuhr zum Frühstück nach Wolf-ratshausen und trug Edmund Stoiber die Kanzlerkandidatur für 2002 an.

Das sicherte ihr nach der knapp gescheiterten Machtübernahme den Eintritt in Phase zwei ihres Parteivorsitzes: den Posten der Fraktionschefin, der es ihr erlaubte, im Zentrum der Auseinandersetzung als Oppositionsführerin zu punkten. In der Hohmann-Affäre ließ sie erkennen, wo sie die Partei langfristig positionieren wollte. Merkel markierte die Abgrenzung nach rechts, als sie nach Äußerungen über Juden als "Tätervolk" den Rauswurf des hessischen Abgeordneten durchsetzte. Zwölf Jahre später definiert sie die Grenze ähnlich eindeutig bei allen Versuchen, die CDU in Richtung "Pegida" oder AfD zu öffnen.

Dagegen trieb sie die Partei zielstrebig in die Mitte und in die Modernität. Konservative CDUler ballen darüber die Faust in der Tasche. Ihre Sicht: Was nutzen ein paar Dutzend Stimmen am Prenzlauer Berg, wenn der CDU darüber ein paar Tausend Stammwähler auf dem Land den Rücken kehren? Doch Merkel vertraut auf andere demoskopische Fakten: dass der Anteil der bibelfesten CDU-Wähler immer kleiner werden muss, weil auch der Anteil der Kirchgänger in der Gesellschaft schrumpft. Wenn die CDU dadurch weniger verstaubt wirkt und am Ende die Positionswechsel für Mehrheiten bis ins Milieu der bürgerlichen Linken hinein führen, dann eröffnet das auch neue Machtperspektiven. Schon 2013 hätte Merkel am liebsten mit den Grünen regiert.

Dabei schienen ihre Tage an der Parteispitze schon 2005 gezählt zu sein. In einer beispiellosen Aufholjagd hatte der angeschlagen in vorgezogene Neuwahlen geflüchtete SPD-Kanzler Gerhard Schröder den sicher geglaubten Wahlsieg von Schwarz-Gelb unter Merkel verhindert. Hätte er ihr süffisant zum Abschneiden gratuliert und ansonsten geschwiegen, wäre es Merkel unendlich schwer gefallen, eine Palastrevolte zu verhindern. Doch im Überschwang vergriff sich der testoste-rongesteuerte Kanzler derart im Ton, dass sich automatisch die Reihen hinter Merkel schlossen.

Blitzschnell nutzte sie die Situation, betonierte ihren Anspruch durch die Wiederwahl als Fraktionschefin und zog mit der großen Koalition doch noch ins Kanzleramt ein. Damit begann Phase drei der Merkel-CDU. Eine Kanzlerin ist einer Partei das Allerliebste, wenn diese das Regieren als ihre eigentliche Lebensbestimmung ansieht. So wie nun der Zeitaufwand für die Partei bei der Vorsitzenden gegenüber ihren Aufgaben als Kanzlerin zurücktrat, so verlor sich auch die Rolle der innerparteilichen Diskussion gegenüber der Gestaltung der Politik aus dem Kanzleramt heraus.

Eine solche Partei bringt es nicht einmal ins Schlingern, wenn die Chefin wichtige Grundüberzeugungen kippt. Wehrpflicht? Weg! Laufzeitverlängerung? Atomausstieg! Marktwirtschaft? Mietpreisbremse!

Über einem Konrad Adenauer oder Helmut Kohl verfinsterte sich im Parteipräsidium der Himmel, wenn die Partei unter ihrer Führung ein Bundesland nach dem anderen verlor. Doch an Merkel entzündet sich keine Kritik, seit klar ist, dass sie im Bund für schon nicht mehr für möglich gehaltene 42 Prozent und mehr steht. Solange die Menschen der Kanzlerin vertrauen, vertraut die CDU ihrer Vorsitzenden.

Anders als bei der aufreibenden Selbstfindung der SPD verringert sich durch Merkels Methode der Vorrat an langfristig Identität stiftenden Inhalten. Allerdings ist Merkel für die CDU ertragreicher, als es Kohl je war. Er wurde bei den Zustimmungswerten von der Partei getragen, bei Merkel wird die Partei von den Sympathiewerten Merkels hochgezogen. Das bedeutet aber auch: Der von seiner Partei abhängige Kohl konnte mit kalkulierbarem Risiko ersetzt werden. Eine von Merkel abhängige Partei geht einer risikoreichen Zukunft entgegen, wenn die Chefin einmal abtritt oder schwächelt. In solche Szenarien vertieft sich daher bei der CDU niemand gerne. Und Merkel hat auf dem Zenit ihrer Macht und dem Höhepunkt der Krisen keine Zeit dafür. Die Partei wird ihr schon folgen. Solange es eben gut geht.

(may-)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort