1964 — Das stabile Gleichgewicht des Schreckens

Vor 50 Jahren war der Wettbewerb der Systeme noch nicht entschieden. Die Sowjetunion war eine der Siegerinnen des Zweiten Weltkriegs. In einem gewaltigen Entwicklungsprozess machten die Diktatoren Stalin und Chruschtschow aus dem rückständigen Land die Industrie- und Militärmacht Sowjetunion. Der Sputnik-Schock zeigte dem Westen, dass diese Macht in der Lage war, Raketen in den Weltraum zu schicken. Und unter Chruschtschow hatte zum ersten Mal auch die Zivilbevölkerung etwas vom Fortschritt des Landes.

Politisch war die Sowjetunion die zweite Supermacht hinter den Amerikanern. Mit ihren Satellitenstaaten von Polen bis Bulgarien, zusammengebunden im Militärbündnis des Warschauer Pakts, war der Einfluss der Sowjetunion bis in die Mitte Europas vorgedrungen. Der Außenposten DDR, verbarrikadiert durch Stacheldraht und Mauer, schnitt ins Fleisch des westlichen Bündnisses Nato, das die Amerikaner anführten und dem viele europäische Staaten einschließlich der Bundesrepublik angehörten.

Wie nie zuvor waren die Amerikaner in Europa engagiert, ihre Stützpunkte verbreitet quer durch Deutschland und Europa. Aus Besatzern waren Freunde geworden, die die Bundesrepublik vor dem Zugriff des Warschauer Paktes bewahrten.

Militärisch herrschte ein Gleichgewicht des Schreckens. Zum ersten Mal konnten zwei Supermächte mit ihrem atomaren Potenzial den anderen vollständig vernichten. Es galt die Drohung: "Wer als erster schießt, stirbt als zweiter." Oder vornehmer ausgedrückt: die Doktrin der massiven Vergeltung. Zugleich entwarfen die USA die Strategie der flexiblen Antwort. Denn sie wollten ihren Gegner bewusst im Unklaren lassen, ob sie massiv zuschlagen oder auf Provokationen nur angemessen reagieren würden.

Das Aufgebot an Interkontinentalraketen, see- und luftgestützten Atomwaffen sowie Kurz- und Mittelstreckenwaffen war beachtlich. Es reichte sogar zur mehrfachen Zerstörung - ein Wahnsinn, aber mit Methode. Denn das Gleichgewicht des Schreckens war erstaunlich stabil. Die Stellvertreterkriege wurden vor allem in der Dritten Welt geführt. Europa und die USA konnten sich in Frieden weiterentwickeln und erreichten einen nie dagewesenen wirtschaftlichen Wohlstand.

Diese Option hätte auch den sozialistischen Staaten offengestanden. Doch diese fielen wirtschaftlich hinter den Westen zurück. Im Zeitalter der Massenproduktion (50er und 60er Jahre) glichen sich die Systeme sogar etwas an. Im Westen hatte staatliche Planung Konjunktur, der Osten entdeckte die Konsumgüterproduktion und die kleinen Freiheiten. Wenn die Bevölkerung freilich mehr wollte, schlug die Sowjetmacht brutal zu.

Als es wirtschaftlich mehr auf Innovation, Umweltschutz und moderne Dienstleistungen ankam, war der Osten nicht mehr wettbewerbsfähig. Irgendwann in den 70er oder 80er Jahren setzte der Zerfall der einst mächtigen Sowjetunion ein. 1989 brach das System zusammen - in einer Gott sei Dank weitgehend friedlichen Revolution.

(kes)
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