Kiew 27 Verletzte bei Bombenserie in Dnjepropetrowsk

Kiew · Eine Serie von Bombenanschlägen hat die ukrainische Industrie-Metropole Dnjepropetrowsk erschüttert. Nach Angaben des Katastrophenschutzministeriums wurden bei vier Explosionen 27 Menschen verletzt. Die Opposition fürchtet, Präsident Viktor Janukowitsch könnte die Situation ausnutzen, um den Ausnahmezustand über das Land zu verhängen, das gemeinsam mit Polen die Fußball-Europameisterschaft ausrichtet. Der Staatschef war wegen der Misshandlungsvorwürfe der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko in den vergangenen Tagen unter wachsenden internationalen Druck geraten.

Es ist kurz vor 12 Uhr mittags, als die Straßenbahn der Linie 1 an der Haltestelle "Oper" in Dnjepropetrowsk die Türen schließt und anfährt. In diesem Moment explodiert ein Sprengsatz. "Es gab einen Knall, ich sah viel Rauch, einen kleinen Jungen mit blutverschmiertem Gesicht", berichtet eine Augenzeugin. Offenbar war die Bombe in einem Papierkorb an der Haltestelle versteckt. 13 Menschen werden verletzt, fünf von ihnen schwer.

40 Minuten später detoniert ein weiterer Sprengsatz auf dem Bahnhofsvorplatz, auch er lag in einem Abfalleimer. Während die Krankenwagen noch zum Bahnhof unterwegs sind, explodiert die dritte Bombe vor einer Berufsschule im Zentrum. Gegen 13 Uhr ereignet sich eine vierte Explosion – wieder in der Nähe der Haltestelle "Oper".

In Dnjepropetrowsk, einer Industriestadt mit einer Million Einwohnern, bricht Panik aus. Verängstigte Menschen wollen von der Arbeit nach Hause fahren, doch die Sicherheitskräfte schicken sie zurück. Ladeninhaber verbarrikadieren ihre Geschäfte, die Schulen entlassen ihre Schüler frühzeitig, Busse und Bahnen fahren nicht mehr. Die Mobilfunknetze brechen zusammen, weil alle versuchen, ihre Verwandten und Bekannten anzurufen. Möglicherweise hat auch die Polizei die Netze gekappt, weil sie befürchtet, dass die Täter weitere Bomben per Handy zünden könnten – niemand weiß es. Schützenpanzer rollen durch die Stadt. Gerüchte über weitere Explosionen, Todesopfer und Kämpfe machen die Runde.

In der Ukraine hat man, anders als in Russland, wenig Erfahrung mit Terroranschlägen. Bekannte extremistische Gruppen, gewaltbereite ethnische Minderheiten oder ungelöste Sicherheitsprobleme wie im Nordkaukasus – das alles gibt es in dem Land nicht. Die Staatsanwaltschaft in Dnjepropetrowsk ermittelt wegen eines möglichen Terrorakts. Doch ein Bekennerschreiben fehlt.

Nach ersten Erkenntnissen der Ermittler waren die Bomben nicht mit Nägeln und Metallteilen gefüllt, wie das bei Anschlägen häufig der Fall ist, um die Opferzahl in die Höhe zu treiben. Das lässt darauf schließen, dass die Attentäter hauptsächlich Angst und Schrecken verbreiten wollten. Dafür spricht auch die Tatsache, dass die einzige U-Bahn-Linie der Stadt von dem Bombenterror verschont blieb.

Präsident Janukowitsch sagte, die Anschläge seien eine Herausforderung für sein Land: "Wir werden über eine adäquate Reaktion nachdenken." Der Abgeordnete Andrej Schikl von Timoschenkos Partei Bjut spricht aus, was viele Oppositionelle befürchten: "Diese Explosionen könnten dafür ausgenutzt werden, den Ausnahmezustand auszurufen. Das würde der Regierung das geben, was sie will – die volle Kontrolle über die Gesellschaft." Im Herbst wird das Parlament neu gewählt, und Janukowitschs Partei der Regionen fällt in Umfragen immer weiter zurück.

Wie in Osteuropa üblich, kursierten im Internet sofort Spekulationen, die Sicherheitsorgane könnten die Bomben selbst gelegt haben. "Die Tatsache, dass sich die Explosionen in einer Stadt ereigneten, in der keine Spiele der Fußball-EM stattfinden werden, verweist auf den Schoncharakter dieser Anschläge", schreibt ein Internetnutzer namens "Sh_Holms". Andere Stimmen verweisen auf den Terrorakt in der U-Bahn von Minsk. "Es ist das gleiche Szenario wie im vergangenen Jahr in Weißrussland", schreibt der Blogger Paulo, "jetzt werden sie schnell die Schuldigen finden, zwei bis drei Chemie-Studenten oder so." Weißrusslands Diktator Alexander Lukaschenko hatte vor wenigen Wochen die angeblichen Täter nach einem fragwürdigen Prozess hinrichten lassen.

Dnjepropetrowsk, rund 400 Kilometer südöstlich von Hauptstadt Kiew gelegen, ist eines der wirtschaftlichen und finanziellen Zentren des Landes. Die millionenschwere Ex-Unternehmerin Julia Timoschenko ist in der Stadt geboren, ebenso der einstige Präsident Leonid Kutschma. Dessen Schwiegersohn Viktor Pintschuk gilt als der Anführer des Dnjepropetrowsker Clans, einer von drei Oligarchen-Gruppen, die das Wirtschaftsleben der Ukraine fest in der Hand haben.

(RP)
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