Istanbul Öcalan ruft seine PKK zum Frieden auf

Istanbul · Der Kurden-Führer will seine Anhänger auf einen endgültigen Gewaltverzicht verpflichten. Für die Türkei ist das ein zweischneidiges Angebot: Zwar rückt ein Frieden näher, aber Zugeständnisse könnten den Nationalisten nutzen.

Der Kurdenkonflikt in der Türkei
Infos

Der Kurdenkonflikt in der Türkei

Infos
Foto: dpa, n m adp

Nach mehr als 30 Jahren Krieg im türkischen Kurdengebiet ist der Frieden ein Stück nähergerückt. Der inhaftierte Chef der Rebellengruppe PKK, Abdullah Öcalan, hat seine Guerilla aufgerufen, den bewaffneten Kampf gegen Ankara einzustellen. Für Premier Ahmet Davutoglu könnte ein Friedensschluss vor der Parlamentswahl am 7. Juni ein wahlentscheidender Pluspunkt sein - ein Ende des langen Krieges, in dem seit 1984 mehr als 40 000 Menschen ihr Leben verloren und der in der Gesellschaft der Türkei tiefe Wunden geschlagen hat, steht laut Meinungsforschern auf der Wunschliste der Wähler auf einem der obersten Plätze.

Davutoglu muss jedoch vorsichtig sein, weil die türkischen Nationalisten darauf lauern, Zugeständnisse an die PKK als Verrat am Vaterland zu brandmarken. Zudem herrscht in der Öffentlichkeit große Skepsis, wie eine aktuelle Umfrage des Instituts Gezici zeigt. Demnach glauben mehr als vier von fünf Wählern nicht daran, dass die PKK tatsächlich die Waffen niederlegt.

Öcalans Appell, der von dem Kurdenpolitiker Sirri Süreyya Önder bei einem Treffen mit Regierungsvertretern in Istanbul verlesen wurde, ist deshalb ein wichtiges Signal. Öcalan rief die PKK auf, den endgültigen Gewaltverzicht noch in diesem Frühjahr zu besiegeln. Auf Weisung des Kurden-Führers hält die PKK seit zwei Jahren einen Waffenstillstand ein. Öcalan verhandelt seit 2012 auf der Gefängnisinsel Imrali mit dem türkischen Geheimdienst über eine Friedenslösung.

Davutoglu sprach von einer neuen Phase, Präsident Recep Tayyip Erdogan von einer "sehr, sehr wichtigen" Entwicklung. Die Reaktionen auf kurdischer Seite fielen sehr viel zurückhaltender aus. Gleichzeitig mit seinem Appell an die PKK erneuerte Öcalan seine Forderung an Ankara, politische Reformen einzuleiten. Dazu gehören eine Neufassung des Staatsbürgerbegriffs, der bisher über alle ethnischen Unterschiede hinweggeht, ein Umbau der Sicherheitsorgane und mehr Freiheitsrechte. Zudem fordert die kurdische Seite mehr regionale und kulturelle Selbstbestimmung.

Bisher zeigt Ankara keine Bereitschaft, den Kurden auf diesen Feldern entgegenzukommen. Doch für die PKK stehe fest, dass der türkische Staat nach Öcalans Appell konkrete Schritte unternehmen müsse, erklärte die politische Organisation der Rebellengruppe, die KCK. Ohne dass Ankara die von Öcalan geforderten "Hausaufgaben" erledigt habe, sei die Guerilla wohl kaum zur Entwaffnung bereit, schrieb der Kolumnist Celal Baslangic in der Zeitung "Cumhuriyet".

Aktuell geht es vor allem um Pläne der Regierung für ein neues Sicherheitsgesetz, das der Polizei zusätzliche Befugnisse zuspricht und Strafen für Demonstrationsteilnehmer erhöht. Die Kurdenpartei HDP ist sicher, dass die Regierung das Gesetzespaket ändern wird, um den Friedensprozess nicht zu gefährden: Die umstrittenen Passagen des Gesetzes würden entschärft, sagte die HDP-Politikerin Pervin Buldan.

Weil bisher konkrete Gegenleistungen für die Kurden fehlen, wird heftig über etwaige Geheimabsprachen zwischen Öcalan und dem Geheimdienst spekuliert. Warum sollte der PKK-Chef einen solch dramatischen Appell an seine eigenen Leute richten, wenn sich Ankara nicht bewegt, fragen sich die Kommentatoren. Öcalan werde wohl "einige ernsthafte Zugeständnisse" erhalten haben, schrieb der türkische Journalist Ilhan Tanir beim Kurznachrichtendienst Twitter.

Was das sein könnte, ist nicht bekannt. Schon seit einiger Zeit gibt es Gerüchte über eine Freilassung des PKK-Chefs, was besonders die Nationalisten aufbringen würde. Auch deshalb dürfte die türkische Regierung alles tun, um einen möglichen Deal mit Öcalan bis zur Wahl im Juni unter der Decke zu halten.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort