Analyse Abgabenlast fällt seit 15 Jahren

Berlin · Die Steuer- und Abgabenbelastung ist heute im Vergleich zu 1998 zwar deutlich geringer, doch seit etwa zwei Jahren steigt sie wieder. Ein Grund dafür sind heimliche Steuererhöhungen, die der Finanzminister bekämpfen will.

Man glaubt es kaum, aber es ist trotzdem wahr: Arbeitnehmer müssen heutzutage einen viel geringeren Teil ihres Brutto-Arbeitslohnes an den Staat abgeben als noch vor 15 Jahren. Ein lediger Arbeitnehmer ohne Kinder verdiente 1998 brutto im Schnitt 24 704 Euro, wie aus der Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion hervorgeht. Davon musste der Arbeitnehmer damals inklusive Solidaritätszuschlag 4628 Euro oder 18,8 Prozent Lohnsteuer bezahlen. Hinzu kamen noch 5200 Euro oder 21 Prozent seines Bruttogehalts für die Sozialabgaben. Insgesamt reduzierte sich sein Brutto-Lohn somit um 9828 Euro oder 39,8 Prozent.

Im Jahr 2013 ging es dem gleichen Arbeitnehmer viel besser. Er verdiente 31 089 Euro brutto im Jahr. Davon musste er nur 4514 Euro oder 14,5 Prozent an Lohnsteuer plus Solidaritätszuschlag an Vater Staat bezahlen. Hinzu kamen noch Sozialabgaben von 6350 Euro oder 20,4 Prozent. Insgesamt betrug die Steuer- und Abgabenbelastung des Arbeitnehmers 10 864 Euro im Jahr 2013. Das waren nur noch 34,9 Prozent seines Brutto-Arbeitslohns.

Im Schnitt ist die Belastung dieses exemplarischen Deutschen in den 15 Jahren bis 2013 um fast fünf Prozentpunkte gesunken. Entsprechend mehr Geld hatte er in der Tasche: Das verfügbare Einkommen stieg 2013 auf 65,1 Prozent des Jahresarbeitslohns – 1998 waren es dagegen nur 60,2 Prozent.

Warum sind die verfügbaren Einkommen seit 1998 so stark gestiegen?

Vor allem die rot-grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat die Steuerzahler entlastet. Sie senkte den Spitzensteuersatz auf heute 42 Prozent, verringerte allerdings auch die Einkommensgrenze, von der ab der Spitzensteuersatz heute greift. Auch wurden die steuerlichen Grundfreibeträge schrittweise angehoben. Auch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz der schwarz-gelben Koalition, das 2010 in Kraft getreten ist, reduzierte die Steuerlast. Hinzu kamen Entlastungen bei den Sozialabgaben: Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung konnte über die Jahre auf 3,0 Prozent des monatlichen Brutto-Gehalts gesenkt werden. Dank der hohen Beschäftigung reduzierte die schwarz-gelbe Koalition auch den Beitragssatz zur Rentenversicherung von 19,9 auf heute 18,9 Prozent. Bis März 1999 hatte er noch bei 20,3 Prozent gelegen.

Im Ergebnis liegt Deutschland heute bei der Steuer- und Abgabenbelastung im EU-Vergleich nicht mehr an der Spitze, sondern nur noch im oberen Mittelfeld. Die deutsche Steuerquote – der Anteil der Steuern an der Wirtschaftsleistung – befindet sich heute sogar im unteren Mittelfeld.

Wie sieht die Entwicklung in den vergangenen zwei Jahren aus?

Seit 2011 steigt die Steuer- und Abgabenbelastung wieder geringfügig, wie aus dem Papier des Bundesfinanzministeriums hervorgeht. Unser Beispiel-Arbeitnehmer musste 2011 nur 12,9 Prozent seines Jahresarbeitslohns für die Lohnsteuer hergeben, im vergangenen Jahr dagegen 13,8 Prozent. Ebenso stieg die Abgabenquote: Lag sie 2011 noch bei 13,6 Prozent, erreichte sie 2013 schon 14,5 Prozent.

Warum nahm die Steuer- und Abgabenlast zuletzt zu?

Die Beiträge zur gesetzlichen Pflege- und Krankenversicherung sind gestiegen. Zudem müssen die Arbeitnehmer einen höheren Beitragsanteil übernehmen als die Arbeitgeber. Bei den Steuern wirken die negativen Effekte des progressiven Steuertarifs: Bei einer Einkommenserhöhung steigt also nicht nur der Steuerbetrag, sondern auch die durchschnittliche Steuerbelastung.

Was bedeutet "kalte Progression"?

Besonders ungünstig wirkt dieser Effekt, wenn das nominale Einkommen eines Arbeitnehmers nur im Ausmaß der Inflation erhöht wird. In diesem Fall bleibt das reale Einkommen vor Steuern unverändert, die Kaufkraft steigt nicht. Doch wegen des nominal höheren Einkommens ergibt sich trotzdem ein höherer Durchschnittssteuersatz für den Arbeitnehmer: Sein verfügbares Einkommen sinkt.

Wie viel wird den Bürgern durch die "kalte Progression" entzogen?

Nach Ministeriumsberechnungen entzieht der Staat den Bürgern im laufenden Jahr 770 Millionen Euro gegenüber 2013 allein aufgrund der Effekte der kalten Progression. 2015 machen diese heimlichen Steuererhöhungen bereits knapp 3,2 Milliarden Euro aus, für 2016 beziffert das Ministerium den Effekt mit knapp 5,6 Milliarden Euro, und 2018 "verdient" der Fiskus acht Milliarden Euro im Vergleich zum Jahr 2013 automatisch hinzu, ohne dafür einen einzigen Steuersatz erhöht zu haben.

Wer leidet am meisten darunter?

"Relativ gesehen sind die Effekte aus der kalten Progression bei den geringen Einkommen deutlich höher", sagt Frank Hechtner, Steuerexperte an der Freien Universität Berlin. Auch die Grünen sehen negative Effekte vor allem im unteren und mittleren Einkommensbereich. "Das Motto der Politik sollte sein, untere Einkommen zu entlasten, ohne Spitzenverdiener zu bevorteilen", sagt die steuerpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Lisa Paus.

Was plant die große Koalition?

"Bundesfinanzminister Schäuble wollte vor der letzten Bundestagswahl die Bürger von der kalten Progression entlasten. Die SPD hat das Gesetz damals verhindert und war im Rahmen der Koalitionsverhandlungen nicht zu Zugeständnissen bereit", sagt der parlamentarische Finanz-Staatssekretär Michael Meister (CDU) unserer Zeitung. Er kündigt an, Schäuble werde neue Vorschläge zur Bekämpfung der kalten Steuerprogression im Laufe dieser Legislaturperiode unterbreiten. "Wir werden uns im Laufe der Wahlperiode um einen redlichen Vorschlag bemühen", sagt Meister. Die SPD zeigt sich hier neuerdings gesprächsbereit.

(mar)
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