Moskau Abitur in Russland wird zur nationalen Schummelei

Moskau · Aufgaben und Lösungen werden im Internet verbreitet.

Skandale um das russische Zentralabitur gibt es jedes Jahr. Doch diesmal haben die Schummeleien ein solches Ausmaß erreicht, dass sich selbst Regierungschef Dmitri Medwedew zu Wort meldete. "Das ist keine Hilfe, das ist ein großer Schaden", ärgerte sich Medwedew, "alles haben sie ins Internet gestellt, jetzt beginnt das Abschreiben!"

750 000 russische Abiturienten schwitzen in dieser Woche über den Abschlussprüfungen. Doch schon am ersten Tag verbreiteten Unbekannte die Aufgabenbögen und Lösungen des Zentralabiturs für das Fach Russisch im Internet. Weitere Lecks in anderen Fächern folgten. Begünstigt wird die Schummelei durch den Zeitunterschied in dem Riesenland: Wenn die Schüler im Fernen Osten ihre Prüfungsbögen abgeben, stehen ihre Kollegen im europäischen Teil Russlands gerade erst auf. Da kommt manch einer in Versuchung, ein Foto-Handy in den Klassenraum zu schmuggeln.

Dabei sollte das 2008 eingeführte neue Format des "Einheitlichen Staatlichen Examens" die Schummelei und Korruption im Bildungswesen eindämmen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Einst ähnelte die noch aus sowjetischer Zeit stammende "Reifeprüfung" vom Format her dem deutschen Abitur. Es gab schriftliche und mündliche Prüfungen, in den geisteswissenschaftlichen Fächern wurden Aufsätze geschrieben. War die Schule geschafft, erwarteten die "Abiturienty" die Aufnahmeprüfungen an den Universitäten. Oft wurde dabei mit Geld und Geschenken nachgeholfen.

Das neue Examen dagegen besteht nach US-Vorbild aus computerlesbaren Prüfbögen, die im Ankreuz-Verfahren ausgefüllt werden. Das sei objektiver, so die Befürworter der Reform. Die Aufnahmeprüfungen an den Unis wurden abgeschafft – einziges Kriterium für die Studienplatzvergabe sollte der Abiturdurchschnitt sein.

Doch schon bald nach der Einführung zeigte sich, dass die Reform ihren Zweck verfehlt hatte. Die für ihre Korruption verschrienen Kaukasus-Republiken Tschetschenien und Dagestan produzierten plötzlich auffällig viele Einser-Abiturienten. Prompt führten die prestigeträchtigen Universitäten in Moskau und St. Petersburg wieder Tests ein.

(RP)
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