Analyse Abschiebung: Wann, wer, wie, wohin

Berlin · 106Afghanen ohne Schutzanspruch brachten die Behörden in diesem Jahr in ihre Heimat, nachdem sie die Aufforderung zum Verlassen des Landes missachtet hatten. Rund 200.000 ausreisepflichtige Ausländer sind noch da.

Der verheerende Bombenanschlag in der afghanischen Hauptstadt Kabul hat die Abschiebepraxis Deutschlands in den Mittelpunkt gerückt. Nach den großen Flüchtlingszahlen von 2015, den vielen Entscheidungen des Flüchtlingsbundesamtes von 2016 wollte Bundeskanzlerin Angela Merkel 2017 die Abschiebungen zur "nationalen Kraftanstrengung" machen. Die wichtigsten Fragen dazu:

Was sind die Rechtsgrundlagen für eine Abschiebung?

Das im Zuge der Flüchtlingsdynamik mehrmals geänderte Aufenthaltsgesetz regelt in seinen Paragrafen 58 bis 60a, dass Ausländer nur abgeschoben werden dürfen, wenn sie nach eingehender individueller Überprüfung weder als Asylbewerber noch als Flüchtling Anspruch auf Schutz oder sonstigen Aufenthalt haben. Sie erhalten dann eine Ausreiseaufforderung mit Abschiebeandrohung. Die Pflicht zur Ausreise liegt zwischen sieben bis 30 Tagen. Wenn sie in der gesetzten Frist der Ausreisepflicht nicht nachgekommen sind, liegt das Verfahren nicht mehr beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), sondern bei den Ausländerbehörden in den Ländern, die dann den Vollzug mit Hilfe der Polizei übernehmen sollen.

Wie gehen die Länder mit Abschiebungen um?

Das ist höchst unterschiedlich. Vor allem die von Rot-Rot-Grün regierten Länder Thüringen und Berlin bemühen sich, Abschiebungen zu vermeiden. Laut Koalitionsvertrag hält die Regierung in Berlin Abschiebehaft und Abschiebegewahrsam "grundsätzlich für unangemessen". Sie hat sich auch darauf verständigt, alle aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten für einen Verbleib "auszuschöpfen". Die vorangegangene Landesregierung in Schleswig-Holstein hatte einen generellen Abschiebestopp für Afghanen verfügt, andere Landesregierungen beschränkten diese Abschiebungen auf Kriminelle und Gefährder.

Wie wurde das Aufenthaltsrecht verändert?

Es ging einerseits in die Richtung, die Integration mit Sprachkursen zu fördern und jungen Menschen mit Bleibeperspektive die Angst vor Abschiebung während einer Ausbildung zu nehmen. Andererseits wird gegen Missbrauch schärfer durchgegriffen. Wer an seiner eigenen Identifizierung nicht mitwirkt oder vorsätzlich falsche Angaben macht, muss im Bezirk einer Ausländerbehörde bleiben. Das Flüchtlingsbundesamt kann auch die Smartphones auswerten, um die Identität zu klären. Gefährder können mit Fußfesseln überwacht und leichter in Abschiebungshaft genommen werden. Auch der Trick, mit fingierten Vaterschaftserklärungen den Aufenthalt zu verlängern, wurde verbaut.

Wie laufen Abschiebungen praktisch ab?

In der Regel werden Abschiebungen durch die Länderpolizeien durchgeführt, die die Ausländer in ihre Heimat begleiten. Zusätzlich organisiert die Bundespolizei Sammelabschiebungen, für die die Länder die Betroffenen zu einem Sammelplatz bringen. Dort durchlaufen sie mehrere Stationen mit Identitätsfeststellung, Gesundheits-Check, Kontrolle des (meist sehr umfangreichen) Gepäcks und dem Stempel "Abgeschoben" für den Pass. Dann geht es mit einem eigens dafür gecharterten Flieger in die Heimatländer, wo sich Botschaftsangehörige um die Ankömmlinge kümmern.

Was schützt vor Abschiebung?

Zunächst schon die Einschätzung des Bundesamtes, dass einem Antragsteller ohne Schutzanspruch Gefahr für Leib und Leben in seinem Heimatland droht. Dann erlässt das BAMF ein förmliches Abschiebungsverbot, das regelmäßig überprüft wird und auch wieder aufgehoben werden kann. Außerdem können schwere Erkrankungen die Abschiebung verzögern. Nicht selten kommt es noch zu einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Mitunter weigern sich auch Herkunftsländer, jemanden wieder aufzunehmen - etwa, wenn bestimmte Dokumente fehlen.

Wie viele Abschiebungen gibt es?

Im vergangenen Jahr kamen Bund und Länder nach Daten des Bundesinnenministeriums auf rund 25.000 Abschiebungen. In den Jahren zuvor waren es weniger als die Hälfte. Allein im ersten Quartal 2017 wurden schon 8600 Personen in ihre Heimatländer abgeschoben. Nach Schätzungen leben rund 200.000 Ausreisepflichtige in Deutschland.

In welche Länder schieben die deutschen Behörden ab?

Abgelehnte Asylbewerber werden vor allem in Richtung Balkan abgeschoben. Die fünf wichtigsten Länder sind: Albanien, Kosovo, Serbien, Mazedonien und Moldau. Abschiebungen nach Afghanistan finden nur in geringem Umfang statt. Zwischen 2013 und 2015 lag die Zahl nach Angaben des Innenministeriums unter zehn. Im Jahr 2016 waren es 67. In diesem Jahr wurden bisher 106 Afghanen in ihre Heimat abgeschoben.

Warum ist die freiwillige Rückkehr besser als eine Abschiebung?

Wer den Stempel "Abgeschoben" im Reisepass trägt, darf nach Deutschland vorerst nicht mehr einreisen. Freiwillige Rückkehrer haben die Möglichkeit, auf legalem Weg nach Deutschland zu kommen. Auch die Bedingungen für freiwillige Rückkehrer sind viel besser.

Bei einer freiwilligen Ausreise übernehmen die Behörden die Reisekosten mit Beihilfe für Nahrung und Unterkunft.

Bund und Länder können zudem die Rückkehrer finanziell unterstützen. Seit Anfang des Jahres können sie eine Starthilfe beantragen. Personen ab zwölf Jahren, die sich zur Rückkehr entschließen, bevor sie einen negativen Asylbescheid bekommen haben, können 1200 Euro bekommen. Mit negativem Asylbescheid sind es 800 Euro. Im vergangenen Jahr gab es nach BAMF-Angaben rund 55.000 freiwillige Rückkehrer. Insbesondere Menschen aus den Balkan-Staaten nahmen die Hilfe in Anspruch.

(may- / qua)
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