Stockholm Abtauchen statt Abschiebung

Stockholm · Schweden hat wie Deutschland seine Flüchtlingspolitik deutlich verschärft. Bei der Umsetzung aber gibt es allerorten Probleme. Die Polizei sieht sich überfordert und warnt vor einer Schattengesellschaft.

Schweden hat wie Deutschland lange eine großzügige Flüchtlingspolitik betrieben. Bezogen auf seine Einwohnerzahl von knapp zehn Millionen hat die wohlhabende Nation mehr Flüchtlinge aufgenommen als alle anderen EU-Länder. Doch seit Ende 2015 gelten auf Beschluss der rot-grünen Regierung unter Ministerpräsident Stefan Löfven deutlich schärfere Regeln. Bis zu 80.000 der 163.000 Menschen, die 2015 Asyl beantragt hatten, sollten bis dieses Jahr abgeschoben werden. Obwohl die Anzahl neuer Asylbewerber auch in Schweden inzwischen drastisch gesunken ist - 2016 waren es noch 30.000 -, bleibt die Situation bei Abschiebungen kompliziert. Die Hürden sind zahlreich, viele Probleme ähnlich wie in Deutschland.

Abgelehnt wurde in den vergangenen Jahren in Schweden durchschnittlich die Hälfte aller Asylanträge. Asylverfahren dauern inklusive der Einsprüche bis zu zwei Jahre. Schwedens Migrationsamt schätzte 2016, dass rund ein Drittel der Auszuweisenden nur schwer ins Herkunftsland abzuschieben ist, weil die Menschen keine Papiere haben. Kürzlich schätzte das Migrationsamt, dass bis 2021 rund 49.000 abgelehnte Asylbewerber in Schweden untertauchen werden.

Dabei geht es vor allem um Menschen aus Afghanistan, dem Irak und Somalia. Die Polizei fühlt sich überfordert. "Wenn wir vom Migrationsamt 8000 Fälle bekommen, haben wir keine Möglichkeit, sie aktiv zu suchen", sagte Grenzpolizeichef Patrik Engström. Zudem könne jede dritte Abschiebung nicht durchgeführt werden, weil viele Herkunftsländer Menschen, die gegen ihren Willen zurücktransportiert werden, nicht aufnähmen, schrieb die Grenzpolizei schon vor einiger Zeit in einem Bericht an die Regierung. Vor allem bei afrikanischen Ländern wie Somalia sei eine Rückführung praktisch unmöglich. Abschiebungen nach Afghanistan, in den Iran und den Irak seien schwierig.

In den Großstädten gibt es auch eine im EU-Vergleich hohe Anzahl unbegleitet ins Land gekommener Minderjähriger. Ein Teil von ihnen führt schon jetzt ein Schattendasein etwa am Stockholmer Hauptbahnhof T-Centralen oder unter der großen Liljeholmsbrücke im Stadtteil Södermalm. Es gibt Drogenprobleme und Prostitution. Viele abgetauchte junge Afghanen etwa hätten Heroinprobleme, warnte jüngst eine Drogenstelle in Stockholm. Es diene als Einstiegsdroge, weil es aus der Heimat bekannt sei. Die Polizei warnt vor einer Schattengesellschaft der Rechtlosen, die aus Perspektivlosigkeit kriminell werden.

Auch um das Abtauchen und soziale Spannungen zu vermeiden, wurden abgelehnte Asylbewerber, die nicht ausreisen wollten, häufig dennoch weiter finanziell unterstützt. Auch durften sie in Asylbewerberunterkünften bleiben. Die Regeln dazu wurden zwar 2016 verschärft - aber auch hier läuft die Umsetzung schleppend. Grundsätzlich ist es schwer für "Illegale", in Schweden Arbeit zu finden. Transparenz wird großgeschrieben; Staat, Steueramt und Gewerkschaften verfügen über starke Kontrollinstrumente. Illegal eingereiste Flüchtlinge haben aber zumindest ein Recht auf medizinische Grundversorgung. Für Aufsehen sorgte auch ein Bericht des öffentlich-rechtlichen Senders SVT, wonach viele Personen, die nach einer Gefängnisstrafe eigentlich hätten abgeschoben werden müssen, einfach freigelassen wurden und dann untertauchten.

Für die Abschiebehaft gibt es kaum Ressourcen. Von 250 auf 350 Plätze werden die Gefängnisse derzeit ausgebaut. Die rot-grüne Regierung nannte das, rechnerisch richtig, eine 40-prozentige Steigerung der Kapazitäten. Sie will aber zugleich keinesfalls zu streng wirken: Immer wieder betont sie, dass sie diese Abschiebungspolitik aus ihrem humanitären Verständnis heraus eigentlich gar nicht unterstützen könne, aber der öffentliche Druck sie dazu zwinge. Von einem "moralischen Dilemma" ist dann die Rede. "Wir wollen helfen, aber diejenigen, die ein Nein bekommen, müssen gehen", sagt Regierungschef Löfven immer wieder, auch angesichts der steigenden Umfragewerte für die Rechtspopulisten.

In Schweden tickt eine gesellschaftliche Zeitbombe. Der Weg zu ihrer Entschärfung liegt irgendwo zwischen Rückführungen und sozialer Unterstützung. Die Alternative wäre die Entstehung einer neuen rechtlosen Unterschicht.

(RP)
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