Kairo Mursi "jubelt" über eigenes Todesurteil

Kairo · Zum ersten Mal in der Geschichte des modernen Ägyptens soll ein Ex-Präsident am Strang enden. Der Westen kritisiert das Urteil. Menschenrechtler werten das Verfahren gegen Mursi und mehr als 100 politische Weggefährten als Farce.

Mit mehr als 100 Todesurteilen, ausgesprochen in einer monotonen, zehnminütigen Urteilsverkündung, stellte der ägyptische Richter Schaaban al Schami am Samstag keineswegs einen neuen Rekord auf. Ein Kollege in der oberägyptischen Stadt Minia hatte im April 2014 gegen 683 Funktionäre und Anhänger der verbotenen Muslimbruderschaft die Höchststrafe verhängt. Doch zum ersten Mal in der Geschichte des modernen Ägyptens soll nun mit Mohammed Mursi ein Ex-Präsident sein Leben am Strang lassen. Der 63-Jährige nahm den Richterspruch mit einem Lächeln entgegen und reckte wie zu einem ironischen Triumph die Hände in die Höhe. Andere Angeklagte riefen: "Nieder mit der Militärherrschaft."

Knapp zwei Jahre nach Mursis Sturz durch die Armee wird ihm zur Last gelegt, sich Anfang 2011 mit der palästinensischen Hamas und der libanesischen Hisbollah verschworen zu haben, um einen Gefängnisausbruch zu organisieren. Der Richterspruch ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Der ägyptische Mufti, die höchste staatliche Glaubensautorität im Land, muss das Urteil noch bestätigen. Erlangt das Urteil Rechtskraft, kann Berufung eingelegt werden. Gemeinsam mit Mursi sollen mehr als 100 weitere Angeklagte sterben. Bereits gestern wurden nach Angaben der regierungsnahen Webseite "ahram.org" sechs militante Islamisten hingerichtet.

Mursi hatte 2012 als Kandidat der Muslimbruderschaft die erste freie Präsidentenwahl in der Geschichte Ägyptens gewonnen - und soll nun als erster Ex-Präsident des Landes sterben. Im Juli 2013 hatte ihn das Militär nach Massenprotesten gegen seine autoritäre Herrschaft gestürzt. Seitdem ist er in Haft, in den ersten Monaten wurde er sogar an einem geheimen Ort festgehalten.

Mursi und einige andere Spitzenfunktionäre der Muslimbruderschaft waren 2011 verhaftet worden. Zu diesem Zeitpunkt hatten die - von linken und weltlichen Aktivisten sowie Jugendlichen begonnenen - Massenproteste gegen den Langzeitherrscher Husni Mubarak, die im Monat darauf zu dessen Rücktritt führten, ihren Höhepunkt erreicht. Die Muslimbrüder hatten mit den Protesten des Arabischen Frühlings nichts zu tun.

Wenige Tage nach der Verhaftung Mursis und seiner Mitbrüder in der Strafanstalt Wadi Natrun zog das von den Protesten bedrängte Mubarak-Regime das Wachpersonal aus mehreren Gefängnissen ab, um Chaos im Land zu säen. Auch Wadi Natrun war darunter. Mursi und die inhaftierten Muslimbrüder spazierten ebenso in die Freiheit wie Tausende Kriminelle. Nach dem Sturz Mursis 2013 schlug das Militär die Demonstrationen der Islamisten nieder. Die Bruderschaft wurde verboten und zur Terrororganisation erklärt.

Das Urteil sorgte für Kritik. Amnesty International nannte es "eine Farce" und forderte die Freilassung Mursis. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kritisierte Ägypten und warf dem Westen Scheinheiligkeit vor. Die US-Regierung sprach von einem Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit. Außenminister Frank-Walter Steinmeier verlangte eine Überprüfung, ob der Richterspruch nach Recht und Gesetz gefallen sei. "Für uns ist das in Deutschland eine Form der Strafe, die wir kategorisch ablehnen."

(RP)
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