Kairo Ägypten scheitert im Kampf gegen den Terror

Kairo · Seit vier Jahren tun Präsident al Sisi und das Militär alles gegen die Extremisten auf dem Sinai. Doch die Attentate werden eher mehr.

Die Zahl der Opfer war so groß, dass Verletzte mit Viehtransportern ins Krankenhaus gebracht werden mussten. Es gab nicht genügend Krankenwagen, und auch die Kliniken waren vollkommen überlastet. So stieg die Zahl der Toten fast stündlich. Bei dem Anschlag auf eine Moschee in Bir al Abed im Nordosten der Sinai-Halbinsel, ganz in der Nähe der Mittelmeerstadt El Arish, kamen am Freitag mehr als 300 Menschen ums Leben.

Die Verletzten hat niemand genau gezählt. Ihre Zahl dürfte aber die der Toten bei Weitem übersteigen. Was am Freitag in Ägypten geschah, war der größte und folgenreichste Anschlag in der Terrorgeschichte des Nillandes. Noch nie wurden so viele Menschen auf einmal getötet. Die Antwort von Staatspräsident Abdel Fattah al Sisi ist, erneut Härte zu zeigen. Doch damit wird er alles noch schlimmer machen.

Der Ex- Generalfeldmarschall, der im Juni 2014 seine Uniform auszog und ägyptischer Präsident wurde, hat alles versucht, den Terror Land im einzudämmen: Er hat das Militärbudget drastisch erhöht, Waffen und Ausrüstung in den USA, Europa und auch Russland gekauft, die Militärpräsenz auf dem Sinai verdoppelt, Ausgangssperren für den gesamten Norden der Halbinsel verhängt, Nachrichtensperren für Medien erlassen und vor allem den Ausnahmezustand, in dem Ägypten sich seit Jahren befindet, immer wieder verlängert. Er hat Tausende einsperren lassen und fegt mit eisernem Besen durchs Land.

Es hat nichts genützt. Fast täglich werden Soldaten und Sicherheitskräfte getötet. Der Blutzoll ist hoch. Er soll inzwischen in die Tausende gehen, so wird geschätzt und von Diensthabenden vor Ort berichtet. Während in den vergangenen Jahren zumeist Armee- und Polizeistellungen angegriffen wurden, sind jetzt auch Zivilisten ins Blickfeld der Attentäter gerückt. Auch Anschläge auf dem Festland sind keine Seltenheit mehr. Vor einem Monat waren bei schweren Gefechten in der Wüstenoase Baharia, 370 Kilometer südwestlich von Kairo und knapp 500 Kilometer vom Sinai entfernt, 52 Sicherheitskräfte ums Leben gekommen. In der Suezkanalstadt Ismailia hatte es im April einen Angriff auf eine Polizeistation gegeben, in der oberägyptischen Stadt Minija waren Ende Mai 28 Christen in einem Bus erschossen worden, im Urlaubsort Hurghada am Roten Meer sind im Juli zwei deutsche Frauen mit Messern erstochen worden.

Al Sisi ist unter frenetischem Jubel nach dem Putsch gegen den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi angetreten, indem er versprach, den islamistischen Terror zu bekämpfen. Die Mehrheit der Ägypter glaubte ihm und wählte ihn, auch weil er ein Militär ist und Erfahrung mit Kriegsführung habe, so die Argumentation damals. Doch der Terror hatte längst Einzug gehalten. Gleich nach dem Sturz Husni Mubaraks im Februar 2011 gab es erste Anschläge auf dem Sinai, nahe der Grenze zum Gazastreifen.

Der machthabende Militärrat unter Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um die einsickernden Extremisten der Hamas und anderer Gruppen wahrzunehmen geschweige denn zu stoppen. Die Grenzen waren durchlässig, schnell bildeten sich Trainingslager für Terroristen aus dem Ausland, die über Kairo in den Sinai einreisten, dort ihre Ausbildung durchliefen und dann weiter nach Syrien und in den Irak geschleust wurden. Auch aus Libyen sickerten genügend Anhänger der sich bildenden Terrormiliz IS ein. Nach dem Sturz Gaddafis im Oktober 2011 brachten sie Waffen, militärische Ausrüstung und Know-how zum Bombenbasteln nach Ägypten.

Zunächst nannten sich die Terrorkämpfer "Ansar Beit al Makdis" und waren ägyptisch geprägt. Im November 2014 schlossen sie sich dem Terrorchef Abu Bakr al Bagdadi an. Jetzt nennen sie sich "Wilajat Sinai", analog zum Kalifat in Syrien und Irak. Ursprünglich waren es etwa 1000 Kämpfer, zu denen Sinai-Beduinen, Ägypter und auch Ausländer gehörten. Mittlerweile dürften sie um ein Vielfaches mehr sein. Die ägyptische Armee behauptet, bereits 3000 von ihnen getötet zu haben. Anfänglich richteten sich die Anschläge von Ansar Beit al Makdis hauptsächlich gegen Einrichtungen in Israel und die Erdgasleitung aus Ägypten nach Israel. Doch seit dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi 2013 kommt es immer häufiger zu Kämpfen zwischen Terror-Milizionären und ägyptischen Soldaten. Wilajat Sinai tötet jetzt vermehrt Zivilisten. Der Terror unter Sisi ist also nicht weniger, sondern mehr und breiter angelegt geworden.

Dabei wird immer deutlicher, dass die militärische Option, die al-Sisi seit Jahren verfolgt, nicht greift. Zum einen ist die ägyptische Armee nicht bereit für den Guerillakampf, sondern kämpft noch immer wie eine konventionelle Streitmacht. Das Angebot der Israelis, bei der Ausbildung zu helfen, ist bisher abgelehnt worden. Auch nach 38 Jahren Friedensvertrag heißt der Feind Nummer eins für die Mehrheit der Ägypter noch immer Israel. Während zwar die Geheimdienste beider Länder seit der Machtübernahme al Sisis intensiv zusammenarbeiten, wäre ein Training von israelischen Soldaten mit ägyptischen undenkbar. Schon Ex-Präsident Mubarak scheiterte daran, israelische Agrarexperten für die Begrünung der ägyptischen Wüste ins Land zu holen. Er befürchtete Massendemonstrationen und ließ es lieber sein.

Ein zweiter Grund für Sisis fehlgeschlagenen Kampf gegen den Terror in Ägypten ist das, was viele Beobachter schon vor vier Jahren vorausgesagt haben, als der Militärmachthaber seinen gestürzten Vorgänger Mursi und dessen Anhänger als Terroristen brandmarkte: Entweder wurden sie ins Gefängnis geworfen, gingen ins Exil oder in den Untergrund. Der Nährboden für künftige, tatsächliche Terroristen war somit bereitet. Da die Muslimbrüder schon unter den Präsidenten Nasser, Saddat und Mubarak verfolgt wurden, haben sie schlagkräftige Dependancen in der ganzen Welt gegründet und ihre Netzwerke stets ausgebaut. Diese setzen sie jetzt ein, um Sisi scheitern zu lassen.

(RP)
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