Kabul Afghanistan: Erste ruhige Wahl seit 5000 Jahren

Kabul · Die Wähler trotzten den Taliban. 4000 Esel und Pferde müssen nun die Stimmzettel aus entlegenen Gebieten abholen.

"Heute war ein sagenhafter Tag für uns. Jeder hat ein Lächen auf den Lippen und Hoffnung in den Augen", freute sich der bekannte Bürgerrechtler Aziz Rafiee. Millionen Afghanen, Frauen und Männer, Junge und Alte, haben am Wochenende den Drohungen der Taliban getrotzt und einen Nachfolger von Präsident Hamid Karsai gewählt, der nach über zwölf Jahren an der Macht nicht mehr antreten durfte. So unerwartet groß war der Andrang, dass vielerorts die Stimmzettel ausgingen.

Bei Auszählungen in ersten Wahlkreisen lag Ex-Finanzminister Ashraf Ghani deutlich vorne. "Dies ist ein stolzer Tag für diese stolze Naton", meinte der 64-jährige, der lange in den USA gelebt und für die Weltbank gearbeitet hat. "Das Volk Afghanistans hat gezeigt, dass es ein Volk der Wahlen, nicht der Waffen ist."

Auch wenn es noch Tage dauern kann, bis belastbare Ergebnisse vorliegen – die wirklichen Sieger stehen bereits fest: Die Afghanen, die auch Lebensgefahr und Regengüsse nicht davon abhielten, ihr politisches Schicksal selbst zu bestimmen. Nach Schätzungen gingen sieben Millionen Menschen zur Wahl, das wären fast drei Millionen mehr als 2009.

US-Präsident Barack Obama gratulierte zu den erfolgreichen Wahlen. Auch die UN und Regierungschefs anderer Länder lobten den Ablauf des Urnengangs. Für das kriegsgeschundene Land war es ein historischer Tag. Erstmals wird ein Führer damit nicht durch Tod oder Gewalt abgelöst, sondern durch eine Wahl. Das hat es in der 5000-jährigen Geschichte des Landes nicht gegeben.

Neben Ghani werden auch den beiden Ex-Außenminister Abdullah Abdullah (53) und Zalmai Rassoul (70) Chancen eingeräumt. Es wird dauern, bis alle Stimmen gezählt sind. 4000 Esel und Pferde müssen Stimmzettel aus entlegenen Gebieten abholen. Sollte keiner der Kandidaten auf Anhieb eine absolute Mehrheit erzielen, was als wahrscheinlich gilt, ist für den 28. Mai eine Stichwahl geplant. Für Streit könnte möglicher Wahlbetrug sorgen. Bisher gingen bei der Wahlkommission 162 Beschwerden ein.

Der Mut und die Entschlossenheit vieler Wähler hatten etwas Berührendes. "Ich habe keine Angst vor den Drohungen der Taliban, sterben müssen wir alle irgendwann. Ich will, dass meine Stimme ein Schlag ins Gesicht der Taliban ist", sagte die 48-jährige Hausfrau Laila Neyazi. Ähnlich äußerten sich viele Wähler.

Schon lange vor Öffnung drängten sich lange Schlangen vor den Wahllokalen. Frauen in hellblauen Burkas und Männer in Pluderhosen harrten stundenlang mit durchweichter Kleidung und nassen Füßen im strömenden Regen aus. Stolz reckten lachende Wähler ihre mit Wahltinte gefärbten Finger in die Kameras. Besonders ermutigend war, dass auffällig viele Frauen zur Wahl gingen.

Einer der ersten an den Wahlurnen war Hamid Karsai. Bis zuletzt war befürchtet worden, dass er die Wahl verschiebt. Doch der amtierende Präsident hielt Wort und machte den Weg für einen Machtwechsel frei. Für das Land ist 2014 ein Schicksalsjahr. Ende des Jahres zieht die Nato ihre Kampftruppen ab und Afghanistan ist militärisch weitgehend auf sich selbst gestellt. Ghani hat bereits wiederholt zugesichert, dass er einen Beistandspakt mit den USA unterschreibt.

Allerdings mischten sich auch vorsichtige Töne in den Jubel. Das Afghanistan Analyst Network warnte, es sei zu früh für ungebremste Euphorie. Es werde Tage dauern, bis das Ausmaß möglichen Wahlbetrugs klarer werde. Es gebe Berichte über den Diebstahl von Wahlboxen, die Einschüchterung von Wählern und andere Manipulationen. Die Wahl 2009 war durch Mauscheleien in großem Stil massiv in Verruf geraten.

(RP)
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