Analyse Ajatollahs gegen Saudis

Düsseldorf · Die gefährliche Rivalität zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, den Vormächten von Sunniten und Schiiten, schwelt schon länger. Jetzt eskaliert der Machtkampf, weil die Saudis einen schiitischen Geistlichen hingerichtet haben.

Zwischen Saudi-Arabien und dem Iran liegt nicht nur der Persische Golf. Ein abgrundtiefes Meer aus Misstrauen und Hass trennt die beiden führenden Mächte der Region. "Eine Schlange, der man den Kopf abschlagen muss", ist die Führung des schiitischen Iran in den Augen der Saudis. In Teheran hält man die Regierung des sunnitischen Nachbarn dagegen für eine Bande von "Völkermördern". Der konfessionell aufgeladene Konflikt um die Vorherrschaft in der Region schwelt seit Jahren. Nun eskaliert er in einem offenen Schlagabtausch.

Nach der Hinrichtung des prominenten schiitischen Geistlichen Nimr al Nimr in Saudi-Arabien drohte Irans geistliches Oberhaupt, Ajatollah Ali Chamenei, mit der Vergeltung des Allmächtigen. "Das zu Unrecht vergossene Blut dieses Märtyrers wird sehr bald Konsequenzen haben, und die Hand Gottes wird Rache an der saudi-arabischen Führung nehmen", sagte Chamenei. In der Nacht zu gestern verwüstete eine Menschenmenge die saudische Botschaft in Teheran - woraufhin Saudi-Arabien seine Beziehungen zum Iran abbrach: Man werde es den Iranern nicht erlauben, die saudische Sicherheit zu untergraben, verkündete Außenminister Adel al Dschubair.

Die Hinrichtung Nimrs wird von Schiiten als Provokation verstanden, auch wenn sie wohl aus einer Position der politischen Schwäche heraus erfolgte. Der 56-jährige Ajatollah al Nimr hatte im Jahr der arabischen Revolutionen 2011 die Proteste der schiitischen Minderheit in Saudi-Arabien (knapp 15 Prozent der Bevölkerung) angeführt. Offen kritisierte er, was auch westliche Menschenrechtler anprangern: Im ultra-konservativen Saudi-Arabien werden die Schiiten systematisch drangsaliert, als Ungläubige verleumdet und im Grunde wie Staatsfeinde behandelt. Unter anderem haben Schiiten keinen Zugang zu Positionen im öffentlichen Dienst. Nimr wurde vorgeworfen, dass er 2009 die Abspaltung der ölreichen östlichen Provinzen des Königreichs gefordert haben soll, wo besonders viele Schiiten leben. 2012 wurde er verhaftet. Sein Todesurteil wurde begründet mit "Ungehorsam gegen die Obrigkeit" sowie Kollaboration mit einer ausländischen Macht - gemeint war der Iran, wo Nimr einige Jahre gelebt hatte.

Seine Hinrichtung, das muss der saudischen Regierung klar gewesen sein, dürfte den konfessionellen Konflikt im Land weiter anfachen. Dass sie trotzdem erfolgte, ist ein weiteres Zeichen für die politische Radikalisierung, die seit dem Amtsantritt von König Salman vor einem Jahr zu beobachten ist. Neben dem oppositionellen Ajatollah wurden am vergangenen Samstag 46 weitere Männer hingerichtet, drei Schiiten sowie 43 Sunniten, denen vor allem terroristische Aktivitäten zur Last gelegt wurden. Die Liste der Delinquenten schockiert nicht nur aufgrund ihrer Länge, sie spiegelt auch die prekäre Lage wider, in die sich die saudische Monarchie manövriert hat.

Denn das Königshaus wird heute ausgerechnet von jenen sunnitischen Extremisten der Al Kaida und des Islamischen Staates (IS) bedroht, die es lange massiv aufgerüstet hatte, und zwar als Gegengewicht zum Einfluss der Schiiten. Nicht zufällig warf gestern Abend der saudische Außenminister Teheran vor, Al Kaida zu schützen und Waffen zu schmuggeln: "Wir lehnen es ab, mit einem Staat zu tun zu haben, der Terrorismus unterstützt und Chaos und sektiererische Spannungen in der islamischen Welt verbreitet."

Die saudische Strategie, sunnitische Islamisten zu fördern, ist gescheitert, das hat auch Riad erkannt, aber für ein Ende der Stellvertreterkriege in der Region wird diese Einsicht kaum sorgen. Zu groß ist die Angst der Saudis vor den Mullahs, die sie überall am Werk sehen: im Jemen, wo die Saudis seit Monaten einen erbitterten Luftkrieg führen, um den Vormarsch der mutmaßlich vom Iran unterstützten schiitischen Huthi-Rebellen zu stoppen. Oder im Golfstaat Bahrain, wo die Saudis schon im März 2011 mit Truppen dabei halfen, Proteste brutal niederzuschlagen, die die schiitische Opposition gegen die sunnitische Regierung organisiert hatte. Und natürlich im syrischen Bürgerkrieg, wo der Iran das Regime von Diktator Baschar al Assad mit Geld und Militärhilfe stützt, während Riad Assads Feinde finanziert. Diese Länder gehören neben weiteren Staaten wie der Irak oder der Libanon zum "schiitischen Halbmond", einer Gruppe von Ländern rund um die arabische Halbinsel, in denen Schiiten entweder die Mehrheit oder aber eine starke Minderheit der Bevölkerung stellen.

Befeuert werden die saudischen Einkreisungsängste durch einen sich abzeichnenden politischen Großwetterwechsel. Angesichts des Terrors sunnitischer Extremisten erscheinen einigen Politikern in den USA und in Europa die Schiiten plötzlich als die weniger radikale Richtung des Islam. Die Kritik am Verbündeten Saudi-Arabien und seinen Verstrickungen in den radikalen Islam wird immer unverblümter.

Spätestens seit dem Durchbruch bei den Atomverhandlungen mit dem Iran, die ein schnelles Ende der Wirtschaftssanktionen gegen das Mullah-Regime vorsehen, glaubt man in Riad den Sicherheitsgarantien der USA nicht mehr. Die sunnitische Monarchie sieht sich mit dem Rücken zur Wand. Damit die Erlöse aus dem Öl-Geschäft für den Iran so gering wie möglich bleiben, pumpen die Saudis seit Monaten die Weltmarktpreise in den Keller - und nehmen dafür sogar ein Haushaltsdefizit von 90 Milliarden Euro in Kauf. Zugleich rüstet Riad massiv auf und schmiedet Allianzen. Kurz vor Weihnachten wurde die Bildung eines Anti-Terror-Bündnisses von 34 Ländern unter saudischer Führung bekanntgegeben. Man wolle den IS bekämpfen, hieß es: "Aber nicht nur ihn."

(RP)
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