Washington Amerikas heimliche Liebe zur Dynastie

Washington · Bush, Clinton, Kennedy, Roosevelt: Die USA haben ein Faible für politische Clans. Dabei ist der "einfache Mann" das Ideal, am besten, wenn er wie Abraham Lincoln in einer Blockhütte zur Welt kam.

Die Matriarchin saß in der ersten Reihe. Zwar fehlten Vater und Bruder, die Präsidenten Nr. 41 und 43 der amerikanischen Chronik, aber Barbara Bush war nach Miami gekommen, um ihren Sohn Jeb ins Rennen ums Weiße Haus zu schicken. Die greise Chefin der Familie wollte den Eindruck verwischen, als hege sie Zweifel an der Kandidatur ihres Zweitältesten, als wollte sie ihm das alles ausreden. Einen Eindruck, an dem sie einst kräftig mitgewirkt hatte.

Von Matt Lauer, einem TV-Moderator, vor zwei Jahren gefragt, was sie denn von einer Bewerbung Jebs halten würde, klang die Antwort wie ein verzweifeltes Händeringen. "Das ist ein großartiges Land. Es gibt viele großartige Familien, es kann ja nicht immer nur um vier gehen oder wie viele es sein mögen. Es gibt andere Leute, die sehr qualifiziert sind, und wir hatten schon genug Bushs." Peile Jeb das Oval Office an, warnte die weißhaarige Lady, bekomme er es "mit all unseren Feinden" zu tun, während er gerade mal "die Hälfte unserer Freunde" auf seiner Seite wisse.

Dass etwas Ur-Aristokratisches mitschwang in den Worten Barbara Bushs, haben genaue Beobachter damals sehr wohl notiert. Ginge es nach dem Ideal, dem Mythos der amerikanischen Republik, hätten angestammte Familien nämlich überhaupt keine Chance. Das Ideal verkörpert keiner besser als Abraham Lincoln, der Autodidakt aus dem Mittleren Westen, der in einer Blockhütte zur Welt kam, sich das Lesen und Schreiben selber beibrachte und Anwalt wurde, der die Sklaverei abschaffte, die Union rettete und das Land vom Oval Office aus so gründlich prägte wie kein Präsident vor und wahrscheinlich auch keiner nach ihm. Nach wie vor gehört es zu den Grundüberzeugungen, dass man das Land besser regieren kann, wenn man aus einfachen Verhältnissen kommt und die Nöte des Alltags kennt. Der Traum vom "Common Man" im Weißen Haus, übrigens ein Faktor für den Sieg Barack Obamas bei der Wahl 2008, scheint politische Herrschergeschlechter von vornherein auf verlorenem Posten stehen zu lassen. Allein, die Realität sieht anders aus.

"Die Leute sagen, nein, nein, wir mögen keine Dynastien. Dabei haben Dynastien über weite Strecken unser politisches Leben dominiert", sagt Ryan Lizza, ein Kolumnist des "New Yorker". Ende des 18. Jahrhunderts wollten die Amerikaner auch deshalb unabhängig werden, weil sie die britische Monarchie mit ihren alten Zöpfen, ihren hierarchischen Strukturen ablehnten. "Kein Adelstitel darf durch die Vereinigten Staaten vergeben werden", steht in der Verfassung. Thomas Jefferson schrieb 1786, zehn Jahre nach Gründung der Vereinigten Staaten, an George Washington, eine Erb-Aristokratie "würde unsere Regierungsform von der besten in die schlechteste der Welt verwandeln". Jefferson, der Ländereien und 135 Sklaven von seinem Schwiegervater geerbt hatte, aber eben auch ein hochbegabtes Multitalent war, unterschied explizit zwischen einer Aristokratie der Fleißigen und Talentierten und einer Aristokratie, die allein auf Geld und dem Privileg der Geburt beruhte. Letztere, warnte er, würde der Gesellschaft die Luft zum Atmen nehmen.

Im 19. Jahrhundert, doziert Matthew Dallek, Historiker an der George Washington University, habe das Experiment, aus einer Familie gleich zwei Präsidenten ins Oval Office zu delegieren, letztlich - nach zwei missglückten Versuchen - als gescheitert gegolten. John Quincy Adams, der Sohn von John Adams, wurde ebenso wie sein Vater nicht wiedergewählt. Über William Henry Harrison lässt sich nicht viel sagen, da er nach 32 Tagen im Amt an den Folgen einer Lungenentzündung starb. Sein Enkel Benjamin Harrison enttäuschte die Erwartungen gründlich. Prägende politische Ahnenreihen erlebten die USA erst im 20. Jahrhundert. Was Dallek, so paradox es zunächst klingen mag, mit dem Erstarken der Mittelschichten begründet. "Eine Mittelklasse, die spürte, dass sie mitreden konnte, hatte weniger Angst davor, dass es Dynastien gelingen würde, die Demokratie als Geisel zu nehmen."

Franklin D. Roosevelt nahm Anleihen bei seinem Cousin Theodore, der versucht hatte, die Konzentration wirtschaftlicher Macht in wenigen Händen zu verhindern. Robert F. Kennedy, ermordet, bevor er eine Wahl gewinnen konnte, betonte nach den tödlichen Schüssen auf John F. Kennedy, er habe einen Bruder verloren, aber wichtiger sei, "was wir gemeinsam für dieses Land versucht haben". Familiäres Sendungsbewusstsein, meint Dallek.

Und das trifft nicht nur aufs Weiße Haus zu, sondern auch auf den Kongress. Evan Bayh, ein Demokrat aus Indiana, holte 1998 einen Senatssitz, den sein Vater Birch zum ersten Mal 1962 gewonnen hatte, als Evan gerade mal sechs Jahre alt war. Jay Rockefeller IV, Urenkel eines Ölbarons, der mit Standard Oil ein Vermögen scheffelte und lange als reichster Mann der Neuen Welt galt, vertrat den Kohlestaat West Virginia 30 Jahre lang im Senat zu Washington. Sein Onkel Winthrop zog ins Armenhaus Arkansas, wo er zweimal zum Gouverneur gewählt wurde. Ein anderer Onkel, Nelson, war Gouverneur des Bundesstaats New York. Unter den Rockefellers gab es sowohl Demokraten als auch Republikaner. Und den Grundsatz: Adel verpflichtet. Der galt auch für die Kennedys, einen Clan, der wie kein anderer für das liberale, aufgeklärte Ambiente der Nordostküste steht.

Hillary Clinton wiederum hält Dallek für die am besten vorbereitete Präsidentschaftskandidatin seit Langem, eben wegen der Erfahrungen, die sie nie gesammelt hätte, hätte Ehemann Bill nicht im Oval Office residiert. Der Name Clinton ist mit der (im Nachhinein kräftig verklärten) wirtschaftlichen Blütezeit der späten 1990er Jahre verbunden, mit dem Namen Bush verbindet sich die Erinnerung an den desaströsen Irak-Krieg. Das ist der entscheidende Unterschied.

Wieso politische Clans zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Rolle spielen wie vielleicht noch nie in der Geschichte der Republik? Barbara Kellerman, Professorin an der Universität Harvard, begründet es mit der Macht der Dollarschecks. "Die Leute hassen es, jemandem Geld zu geben, von dem sie noch nie gehört haben. Lieber geben sie es Leuten, die man kennt, denn deren Gewinnchancen scheinen eindeutig besser zu sein." Der Gedanke an ein Duell Clinton gegen Bush, so Kellerman, habe allerdings etwas, was zum Widerstand reize. "Ich glaube, viele Amerikaner werden sich fragen: 'Was zur Hölle ist los mit uns?' Wir sind doch keine Bananenrepublik, wir müssen das korrigieren."

(RP)
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