Analyse Revolution im Gen-Labor

Berlin · Die neue Gentechnik "Crispr-Cas9" erlaubt, das menschliche Genom präzise zu verändern. Ist das eine Wunderwaffe gegen Krankheiten oder der Beginn gefährlicher Menschenzucht? Beim Ethikrat herrscht keine Einigkeit.

Analyse zu neuer Gentechnik "Crispr-Cas9": Revolution im Gen-Labor
Foto: dpa, bra htf kno

Was ist, wenn es bald möglich wäre, Mücken so zu verändern, dass sie kein Malaria mehr übertragen? Wenn sich HIV-Infizierte einer Gentherapie unterziehen könnten, um anschließend gegen die Aids-Viren geschützt zu sein? Und was ist, wenn mit dieser Technik Menschen künftig quasi perfektioniert werden könnten, dadurch größer, stärker, intelligenter würden?

Die Rede ist von einer revolutionären Methode namens "Crispr-Cas9" (ausgesprochen wird es "krisperkahs"). Mit diesem noch recht jungen Werkzeug lassen sich die Genome von Menschen, Tieren und Pflanzen erstmals einfach und kostengünstig verändern und umbauen. Aber sind solche Eingriffe erlaubt? Und wenn ja, sind sie moralisch und ethisch vertretbar? Welche Gesetze gehören angepasst, welche neuen muss es geben?

Wegen dieser noch unbeantworteten Fragen widmete sich gestern der Deutsche Ethikrat bei seiner Jahrestagung in Berlin der Technik "Crispr-Cas9". Das Gremium, dem 26 hochkarätige Experten für naturwissenschaftliche, medizinische, theologische, philosophische, ethische, soziale, ökonomische und rechtliche Themen angehören, debattierte darüber, wie in Deutschland mit der Revolution in der Gentechnik umzugehen sei.

Doch die wichtigste Frage zuerst: Was ist "Crispr-Cas9" und was lässt sich damit genau machen? Die etwas holprige Abkürzung "Crispr" setzt sich aus den englischen Begriffen "Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats" zusammen und bezeichnet ein Abwehrsystem von Bakterien gegen Viren. Innerhalb des Systems sorgt das Enzym "Cas9" dafür, dass die RNA, also das Genmaterial eines eindringenden Virus, zerschnitten und so für das Bakterium unschädlich gemacht wird. Die beiden Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna entdeckten die Struktur erst vor vier Jahren. Bemerkenswert daran ist, dass "Crispr-Cas9" entgegen bisher bekannter Methoden sehr präzise arbeitet, leicht verfügbar und programmierbar ist und damit beim Einsatz hohe Kosten vermeidet. So fallen für dieses Werkzeug nicht mehr 5000 Dollar, sondern nur noch 30 Dollar an. Und Versuche an Mäusen haben die gewünschten Effekte schon nach wenigen Wochen gezeigt, nicht erst nach mehr als einem Jahr wie bisher.

Die Erwartungen an die Methode sind entsprechend groß im Bereich des "Genome Editing", gemeint sind chirurgische Eingriffe im Genom. Lebensmittelpflanzen wie Getreide könnten damit beispielsweise resistent gegen bestimmte Bakterien gemacht, Tiere besser vor Krankheiten geschützt und Menschen effektiver von Krebs geheilt werden. Und "Crispr-Cas9" bietet noch einen weiteren entscheidenden Vorteil: Es hinterlässt im veränderten Erbgut keine Spuren. Wie der Würzburger Molekularbiologe Jörg Vogel beim Treffen des Ethikrates erklärte, unterscheidet sich eine schädlingsresistente Kartoffel nicht von einer klassisch gezüchteten. Versuche laufen derzeit schon mit allen relevanten Nutzpflanzen, sagte Vogel. Auch an Tieren wird geforscht: Mäuse, Würmer, Fruchtfliegen. Experimente im Labor hätten auch gezeigt, dass sich Veränderungen im Erbgut etwa bei Mücken schon in zwanzig Generationen auf die gesamte Population übertragen - eine große Chance bei der Bekämpfung von Epidemien.

Doch die moralisch-ethische Debatte wird vor allem von der Frage angetrieben, welche Möglichkeiten die Humanmedizin mit "Crispr-Cas9" gewinnt. Hoch umstritten waren etwa Experimente in China, als ein Forscherteam 2014 - nur zwei Jahre nach der "Crispr"-Entdeckung - Tests an menschlichen Embryonen durchführte. Die Experimente waren legal, da die Embryonen zwar lebten aber dauerhaft nicht lebensfähig waren. Im Ergebnis zeigte sich, dass "Crispr-Cas9" dazu geeignet war, eine Funktionsstörung des menschlichen Blutes zu korrigieren.

Der Theologe und Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock, sagte, das Wort der "Menschenzüchtung" habe in der Vergangenheit schon mehrfach gestunken. Doch in den Vorträgen der Experten zeichnete sich immer wieder ab, dass es künftig in Deutschland vielleicht einen Kompromiss bei der Anwendung geben sollte: Demnach unterscheiden sich Eingriffe in normale Körperzellen bereits geborener Menschen, etwa zur gezielten Therapie einer dort auftretenden Krankheit, von Eingriffen in Zellen der sogenannten Keimbahn. Denn wenn in einer Ei- oder Samenzelle Gene manipuliert werden, verändert sich dadurch das Erbgut auch aller Nachkommen. Das eine könnte möglich werden, das andere nicht. Für den evangelischen Theologen Wolfgang Huber ist das jedenfalls eine entscheidende Grenze. "Fehlerarme Eingriffe zur Heilung oder Vermeidung von Krankheiten" seien "moralisch zu rechtfertigen", soweit sie auf das Individuum begrenzt bleiben, sagte Huber. Bei Keimbahninterventionen forderte er hingegen ein internationales Verbot, solange langfristige Folgen nicht ausgeschlossen werden könnten. Ein zeitlich begrenztes Moratorium - wie es etwa die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina in einer Stellungnahme im September 2015 vorschlug - greift für ihn zu kurz, zumal auch die Rechte künftiger Generationen auf dem Spiel stünden. Auch der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff argumentierte, dass es "ein Recht auf genetischen Zufall" gebe. Natürlichkeit sei eine moralische Grenze, so der katholische Forscher.

Aber auch wenn es gestern keinen Beschluss des Ethikrates dazu gab, kann ein Satz des Ratsvorsitzenden Dabrock durchaus als Aufruf an den Gesetzgeber interpretiert werden: "Wir sind an einem Punkt, an dem man sich zu den Möglichkeiten von ,Crispr-Cas' nicht nicht verhalten kann."

(RP)
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