Türkeireise Merkels heikle Mission

Meinung | Berlin · Die Kanzlerin muss schon wieder in die Türkei reisen. Doch der Kurzbesuch ist riskant. Er bestätigt den Eindruck, dass sich Europa, angeführt von Deutschland, mit dem EU-Türkei-Abkommen zu stark in die Abhängigkeit des türkischen Präsidenten begeben hat.

 Am Montag wird Merkel in der Türkei Erdogan treffen.

Am Montag wird Merkel in der Türkei Erdogan treffen.

Foto: dpa, nie soe cul kde

Während Erdogan sein Land in eine Präsidial-Diktatur umbaut, halten die Europäer die Füße still. Freilich "sorgt" die Kanzlerin diese Entwicklung in der Türkei. Das sagt sie auch. Doch ihre Kritik ist zahnlos. Ohne das für die Europäer so wichtige Flüchtlingsabkommen würde ihre öffentliche Kritik vor allem an Erdogans Kurden-Politik sicherlich härter ausfallen. Die Kurdenfrage ist für Deutschland zentral: Deutschland hat — abgesehen vom Flüchtlingszustrom — ein weiteres handfestes innenpolitisches Interesse, dass der Konflikt zwischen Kurden und Türken einen demokratischen Ausgleich findet. Denn jede Eskalation der Lage birgt auch ein Sicherheitsrisiko für Deutschland. Auch auf unseren Straßen gehen Türken und Kurden angesichts der zugespitzten Situation am Bosporus wieder aufeinander los.

Merkel hat am Montag in der Türkei eine doppelte Mission zu erfüllen. Sie wird das öffentliche Zeichen setzen wollen, dass das EU-Türkei-Abkommen, wonach die Türken die in Griechenland gestrandeten Flüchtlinge zurücknehmen, funktioniert und auch in Zukunft funktionieren wird. Sie müsste Erdogan dazu bewegen, eben dies zuzusagen. Zugleich - und das ist der schwierigere zweite Teil der Mission — wird Merkel daran gelegen sein, ein Signal an ihre Kritiker in Deutschland und in der EU zu senden. Sie muss sich vom Vorwurf der Abhängigkeit von und der Unterwürfigkeit gegenüber Erdogan befreien. Das kann sie nur, wenn sie die Missstände in der Türkei benennt und der Visa-Freiheit für die Türken unter den aktuellen politischen Umständen eine klare Absage erteilt.

Grundsätzlich bleibt das EU-Türkei-Abkommen eine realistische Möglichkeit, die Flüchtlingskrise in den Griff zu bekommen. Merkel tut auch gut daran, an dem Plan so lange wie möglich festzuhalten. Die Europäer sollten sich aber parallel besser, als sie es bisher tun, dafür rüsten, ihre Grenzen selbst zu schützen und neue humanitäre Regeln vereinbaren, wie man mit ankommenden Flüchtlingen umgeht. Die politische Entwicklung in der Türkei ist so gefährlich, dass die Kanzlerin sehr wohl an einem Plan B arbeiten muss, der eine Lösung der Flüchtlingskrise ohne die Türkei als Partner vorsieht.

(qua)
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