"Wir wissen es noch nicht"ABC-Waffen im Irak? US-Rückzug in Raten
Tiflis/Bagdad (rpo). Immer mehr entfernt sich die US-Regierung von ihrer Rechtfertigung für den Irak-Krieg, die Massenvernichtungswaffen. So vermutet US-Außenminister Colin Powell: Das irakische Regime von Saddam Hussein hat vor dem Krieg möglicherweise keine Massenvernichtungswaffen mehr besessen.Auf Aussagen des zurückgetretenen US-Waffeninspekteurs David Kay angesprochen, der nicht an große Menge chemischer oder biologischer Waffen in Irak glaubt, sagte Powell am Samstag: "Die Antwort auf diese Frage ist: Wir wissen es noch nicht". Die Waffeninspekteure seien auf der Suche nach der Wahrheit gewesen, nicht auf der Suche nach Waffen, sagte Kay am Sonntag in einem Interview mit dem US-Radiosender "National Public Radio". Nachdem keine Massenvernichtungswaffen in Irak gefunden worden seien, müssten die USA nun der Frage nachgehen, warum der Geheimdienst von entsprechenden Informationen gesprochen habe, erklärte Kay weiter. In einem am Sonntag veröffentlichten Interview mit der Zeitung "The Sunday Telegraph" erklärte Kay dagegen, Teile des irakischen Waffenprogramms seien nach Syrien gebracht worden. Es gehe nicht um große Waffenarsenale, sondern um Material für den Bau von Massenvernichtungswaffen. Was genau nach Syrien gegangen sei, müsse geprüft werden. Kay war am Freitag von seinem Posten als Waffeninspekteur zurückgetreten. Powell erklärte auf dem Weg zur Vereidigung des neuen georgischen Präsidenten in Tiflis, die US-Regierung sei überzeugt gewesen, dass Saddam Hussein über verbotene Waffen verfügte. Viele Fragen seien jedoch offen gewesen, vor allem, um welche Stoffe und welche Mengen es sich gehandelt haben soll. Die US-Regierung hatte den Krieg vor allem mit der Existenz von Massenvernichtungswaffen in Irak begründet. Der Sprecher des Weißen Hauses, Scott McClellan, betonte am Samstag, Washington halte an seiner Aussage fest, dass Irak zum Zeitpunkt des Krieges Massenvernichtungswaffen besessen habe. Es sei lediglich eine Frage der Zeit, bis sie gefunden würden.Britische Regierung: Man müsse Gedult habenPowell betonte, die Geheimdiensterkenntnisse seien im Hinblick auf "die Absichten" der damaligen irakischen Regierung korrekt gewesen. Was die Absicht, die Programme und die Möglichkeiten der Entwicklung von Waffen betreffe, seien die Analysen richtig gewesen. Powell reagierte mit diesen Äußerungen auf den Rücktritt des Chefs der US-Waffeninspekteure in Irak, David Kay. Nach Angaben der britischen Presse sagte Kay, Irak habe seiner Auffassung nach zu Kriegsbeginn keine ABC-Waffen gehabt und in den 90er Jahren auch keine großen Produktionsprogramme aufgelegt. Die in dieser Frage zunehmend unter Druck geratene britische Regierung betonte dagegen, die Suche nach Massenvernichtungswaffen sei noch nicht beendet. Es sei wichtig, Geduld zu haben, sagte ein Sprecher von Premierminister Tony Blair. Die Iraqi Survey Group habe noch einige Arbeit vor sich, und London wolle dies zunächst abwarten. Die Haltung der britischen Regierung sei unverändert. Allerdings weigerte sich Blair anders als in den vergangenen Monaten, in einem Zeitungsinterview seine Überzeugung zu bekräftigen, dass diese Waffen noch gefunden werden. "Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich den Geheimdienstinformationen geglaubt habe, die wir zu dieser Zeit hatten", sagte er dem britischen "Observer" (Sonntagsausgabe).Irakische Waffen in Syrien?Kay erklärte in einem am Sonntag veröffentlichten Interview mit der Zeitung "The Sunday Telegraph" in London, Teile des irakischen Waffenprogramms seien nach Syrien gebracht worden. Es gehe nicht um große Waffenarsenale, sondern um Material für den Bau von Massenvernichtungswaffen. Was genau nach Syrien gegangen sei, müsse geprüft werden. Der britische Premierminister Tony Blair sagte der Zeitung "The Observer", er glaube weiterhin, dass die ihm vor dem Krieg vorgelegten Geheimdienstberichte korrekt gewesen seien. Er sei sicher, dass entweder Waffen gefunden würden oder eine Erklärung dafür, warum sie nicht entdeckt worden seien. Der frühere Außenminister Robin Cook, der im März aus Protest gegen den Krieg zurückgetreten war, erklärte hingegen, es sei "würdelos, wenn der Premierminister weiter daran festhält, dass er Recht hatte, während jetzt alle sehen können, dass er sich irrte". Der demokratische Präsidentschaftsbewerber in den USA, John Kerry, hat dem Weißen Haus indes vorgeworfen, bei der Darstellung der Bedrohung durch Irak vor dem Krieg übertrieben zu haben. "Wir wurden in die Irre geführt, nicht allein bei den Geheimdienstbeweisen, sondern auch darin, wie uns der Präsident (George W. Bush) in den Krieg führte", sagte der Senator von Massachusetts am Sonntag dem US-Nachrichtensender Fox News. Er warf US-Vizepräsident Dick Cheney weiter vor, in der Frage irakischer Massenvernichtungswaffen sowie bei den vermuteten Verbindungen Iraks zum Terroristennetzwerk El Kaida übertrieben zu haben. Zunehmend skeptischDie Verantwortung für die Suche nach Massenvernichtungswaffen in Irak übernahm der frühere UN-Kontrolleur Charles Duelfer. Der 51-Jährige tritt damit die Nachfolge Kays als Leiter der 1.400 Mann starken Expertengruppe der USA an. Kay hatte die Suche seit dem Sturz Saddam Husseins geleitet und war am Freitag zurückgetreten. Vor dem Irak-Krieg hatte Duelfer den harten Kurs der US-Regierung gestützt, sich nach bislang erfolgloser Suche aber zunehmend skeptisch gezeigt, dass noch Massenvernichtungswaffen gefunden werden.