John Tillet war einer der waghalsigen Briten"Sssie sind Gefangenerrr"
Winchester (RP). John Tillett war einer der waghalsigen Briten, die vor 60 Jahren die Pegasus Bridge nahmen. Am D-Day ging für ihn alles glatt, seine härteste Bruchlandung hatte er zuvor schon gemacht - beim Üben. Da muss einer tagelang gebastelt haben, akribisch wie ein Modelleisenbahner. Eine graue Brücke ragt aus der Papplandschaft der Museumsvitrine, am Kanalufer lockt ein Café, Baumwipfel wiegen sich, aber es ist kein Idyll, sondern eine Kriegsszene. Auf der Wiese hinterm Kanal, dicht an einem Teich, stehen drei demolierte Flugzeuge, die aussehen, als hätten ihre Piloten vergessen, das Räderwerk auszufahren. Zerbrochene Rümpfe, gerissene Flügel, Bilder einer Bruchlandung. "Es waren Bruchlandungen", sagt John Tillett. "Es krachte, Holz splitterte, wir rumpelten dahin, die Beine angewinkelt, weil die Gefahr bestand, dass der Boden des Fliegers aufriss." Das alles bei 140 Stundenkilometern kurz vor dem Aufprall. Ein Himmelfahrtskommando. Tillett war damals dabei. Nicht bei den ersten Angreifern, die nach Mitternacht an der Kanalbrücke bei Bénouville auf die Wiese krachten. Er schwebte erst am Abend des 6. Juni 1944 ein. Er sollte nachsehen, was noch übrig war von John Howards D Company. Howard hatte das nächtliche Wahnsinnsunternehmen angeführt, Tillett war Adjutant im Stab der 6. britischen Luftlandedivision, zu der auch die Fallschirmjäger der D-Kompanie gehörten. Drei Monate nach der Invasion in der Normandie löste er Howard als Kommandeur ab. Heute kommt einem der alte Mann vor wie ein wandelnder Karteikasten, einer, der noch jeden Panzer von damals kennt. "Nein, ich schaff das allein." Tillett drückt sich ächzend aus seinem Stuhl hoch, lässt sich die Krücken reichen, schleppt sich von einer Vitrine des Militärmuseums von Winchester zur nächsten. Stolz, den Schmerz unterdrückt er, Hilfe schlägt er aus. Er könnte besser laufen, brummt er, wäre damals dieser verdammte Crash nicht gewesen. Nein, nicht am D-Day, vorher, im März 1944. Überm Ärmelkanal hatte Tillett das Landen in Frankreich geübt. Das Ziel war ein Acker in Südengland. Ein Bomber schleppte seinen Segler in die Höhe, dann löste sich der Gleiter und schwebte lautlos der Erde entgegen. Aber sie hatten die Seile zu früh gekappt. Das Flugzeug schlug auf dem Wasser auf. "Als würde man gegen eine Wand knallen", schildert Tillett. Der Captain verletzte sich böse am Rücken, Matrosen eines Rettungsboots zerrten ihn aus dem Wasser, bis Juni war er wieder fit. Später musste er mit mehreren Operationen für den Crash bezahlen. Er sei, hatte uns der 84-Jährige gleich am Anfang eröffnet, Ehrenmitglied der Hitlerjugend. Ein staunender Blick, Tillett rührt grinsend mit dem Löffel in seinem Teeglas und genießt den Überraschungseffekt. "Magdeburg", sagt er dann. Nach Magdeburg war er mit der Hockeymannschaft seiner Schule in Ipswich gefahren. 1936 war das. Ein Deutscher, ein Gauleiter, nahm ihn ehrenhalber in die HJ auf, was der junge Brite akzeptierte, aus Höflichkeit. Das nächste Mal probierte Tillett seine Deutschkenntnisse an einem Soldaten aus, gleich hinter Bénouville. "Sssie sind Gefangenerrr", schrie er ihn an. Er ruft es jetzt nochmal, mit schnarrender Stimme, im selben Tonfall, in dem englische Akteure in Kriegsfilmen Wehrmachtsoffiziere spielen. "Der Bursche war verschreckt, starr vor Angst, er hockte in einem Graben und konnte sich nicht bewegen. Erst wollte ich ihn erschießen, aber das konnte ich nicht. Man schießt nicht auf einen Wehrlosen."