Warschau Auf dem Weg zum autoritären Staat

Warschau · Eigentlich hatte Polen 2015 alles erreicht. Dann kam Jaroslaw Kaczynski und mobilisierte die Zukurzgekommenen. Das Resultat ist verheerend.

Alle Jahre wieder, wenn der Winter naht, holt Jaroslaw Kaczynski seine Mütze aus dem Schrank und wappnet sich gegen die Warschauer Kälte. Mit der schwarzen Kopfbedeckung, modisch irgendwo zwischen Schieber- und Baskenmütze, wirkt der 1,62 Meter messende Ex-Premier wie der personifizierte kleine Mann. Vermutlich käme niemand, der Kaczynski nicht kennt, bei seinem Anblick auf die Idee, dass hier ein revolutionärer Volkstribun mit autoritären oder sogar totalitären Ambitionen unterwegs ist.

So kann man sich täuschen. Kurz vor Weihnachten zeigte Kaczynski einmal mehr, was in ihm steckt. Der mittlerweile 66 Jahre alte Rechtspopulist stieg vor dem Verfassungsgericht auf die Barrikaden und hielt eine Brandrede, obwohl alle Wahlen längst gewonnen waren. Doch Kaczynski, so hat es den Anschein, ist ständig im Kampfmodus. Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn. Seine Widersacher, zu denen auch die Mehrheit der amtierenden Verfassungsrichter zählt, verurteilte er im Namen des Volkes: "Ganz Polen lacht über euch, ihr Kommunisten und Diebe." Der Wille der Nation manifestiere sich im Parlament, dem Sejm, wo Kaczynskis nationalistische Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) seit Ende Oktober die absolute Mehrheit besitzt.

Keine Frage: Kaczynski ist am Ende eines für Polen historischen Doppelwahljahres obenauf. Noch Anfang 2015 hätte damit vermutlich kein politischer Beobachter in Warschau gerechnet. Der PiS-Chef galt damals wahlweise als Auslaufmodell, notorischer Verlierer, Lachnummer oder Schlimmeres. Die Regierung der liberalkonservativen "Bürgerplattform" PO ging unangefochten in ihr achtes Amtsjahr. Die Fortsetzung würde folgen.

An der Regierungsspitze hatte 2014 Ewa Kopacz die Geschäfte von Donald Tusk übernommen, der als EU-Ratspräsident nach Brüssel gewechselt war, ein sichtbares Zeichen für den wachsenden Einfluss Polens in Europa. Das größte EU-Mitglied im Osten galt als aufstrebendes Wirtschaftswunderland, das auf das Erreichte stolz sein konnte - und tatsächlich durchaus stolz auf sich war. Kaum jemand verkörperte das Bild vom erfolgreichen, latent selbstzufriedenen Polen so sehr wie Staatspräsident Bronislaw Komorowski, der schwergewichtige, katholisch-konservative und zugleich freiheitsliebende Solidarnosc-Aktivist von einst.

Alles, was Komorowski in seinem Leben für sich und sein Land erreichen wollte, hatten er und sein Land Anfang 2015 erreicht: Demokratie, Wohlstand und die Verankerung im westlichen Staatenbündnis. Allerdings verkörperte der 63-Jährige, der die PO mit Tusk aufgebaut hat, eben doch nur einen Teil Polens, jenen Teil, den die Bürger "Polen A" nennen. Dazu zählen vor allem die aufblühenden Städte wie Warschau, Posen und Breslau mit ihrer gehobenen, neureichen Mittelschicht.

Auf dem Land zwischen Oder und Bug dagegen, in den Kleinstädten und Dörfern, formierten sich 2015 die Unzufriedenen und Zukurzgekommenen. Insbesondere bei den jungen Polen unter 30 Jahren, die beim Berufseinstieg meist mit sogenannten Müllverträgen abgespeist werden, wuchsen Neid, Verachtung, gar Hass auf die Eliten und auf das schöne neue EU-Polen mit seinen modernen Autobahnen und Hochgeschwindigkeitszügen. Der kleine Mann Kaczynski und seine PiS schürten den Unmut.

Im Rückblick fügt sich, was zu Beginn des Jahres undenkbar schien, durchaus logisch: Die Polen straften Komorowski bei der Präsidentenwahl im Mai gnadenlos ab. Der Amtsinhaber war allzu siegesgewiss gegen den unscheinbaren, erst 42 Jahre alten PiS-Kandidaten Andrzej Duda in den Ring gestiegen. Ein TV-Duell verweigerte Komorowski zunächst und offenbarte so eine Arroganz der Macht, die ihm und der PO-Elite zum Verhängnis wurde.

"Man muss den Mieter des Präsidentenpalasts auswechseln, um der Sauberkeit unserer Republik willen", sagte Kaczynski und rückte Komorowski damit verbal in jenes Licht, in dem die meisten Polen ihren Präsidenten insgeheim bereits sahen. Im Rückblick kann es keinen Zweifel geben, dass sich eine Mehrheit der Polen im Frühjahr 2015 nach einem Putzkommando sehnte. Und die Bürger bekamen, was sie wählten: Kaczynskis PiS, die Ende Oktober auch die Parlamentswahl gewann und seither mit absoluter Mehrheit durchregieren kann.

Der Rest dieses Wendejahres ist schnell erzählt, denn im Grunde begann mit dem Amtsantritt der PiS-Regierung Mitte November bereits das Jahr 2016. Die PiS lancierte eine Säuberungswelle in den Staatsmedien (gestern sicherte das Parlament der Regierung größeren Zugriff), attackierte und entmachtete das Verfassungsgericht. Kaczynski hat vor Weihnachten für das kommende Jahr eine "nationale Revolution" angekündigt: "Wir müssen Polen neu gestalten, und es wird eine große Umgestaltung sein."

Fortsetzung folgt.

(RP)
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