Diplomatische Bemühungen auf Hochtouren Auf Merkel und Putin kommt es an

Berlin · Fortschritt in der Ukraine gibt es nur, wenn Berlin und Moskau sich verständigen. In London wittert man schon Geheimpläne.

Nicht erst seit dem grauenvollen Flugzeugabschuss mit fast 300 Toten wartet die Welt auf ein Ende der Gewalt in der Ost-Ukraine. Die Blicke richten sich dabei immer wieder auf die deutsche Kanzlerin und den russischen Präsidenten. Mehrere Dutzend Telefonate haben Angela Merkel und Wladimir Putin bereits geführt. Ihre Sprecher berichten über diese Kommunikation, ohne auf die Inhalte einzugehen. Vielleicht witterte die liberale britische Zeitung "Independent" deshalb einen Merkel-Putin-Geheimplan zur Befriedung der Ukraine? Die Bundesregierung dementierte umgehend: Der Bericht entbehre jeder Grundlage. Doch im Kern stimmt die Grundannahme, dass es im Ukraine-Konflikt auf Merkel und Putin ankommt. Darum drehen sich auch neue Verständigungs-Anläufe.

Ein wichtiges Beispiel liefert der 21. Februar dieses Jahres, als Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit seinen Amtskollegen aus Frankreich und Polen mitten in die von tödlichen Unruhen aufgewühlte Stimmung hinein nach Kiew reiste und in Marathon-Verhandlungen alle Seiten für eine geregelte Machtübergabe gewann. Hier zeigte sich nicht nur, wie wichtig der gemeinsame Auftritt der EU-Länder ist, sondern auch, wie sehr es von der Verständigung zwischen Merkel und Putin abhängt, ob die Dinge vorankommen.

Denn zur Flankierung von Steinmeiers Mission hatte Merkel Putin telefonisch davon überzeugen können, einen eigenen Sondergesandten am Verhandlungstisch zu platzieren. Damit erreichte sie das Signal, dass Putin ebenfalls an einem Übergang interessiert ist - und brachte Machthaber Viktor Janukowitsch zum Einlenken. Der Bürgerkrieg war fürs Erste abgewendet.

Schon Stunden später kam der Zeitplan völlig unter die Räder - und damit die Hoffnung Putins, seine Interessen in der Ukraine vor den für dieses Jahresende geplanten Wahlen und Verfassungsänderungen rechtzeitig wahren zu können. Er reagierte mit der Doppelstrategie, zu Verhandlungen, verständnisvollen Gesten und diplomatisch ausgeklügelten Zugeständnissen immer bereit zu sein, parallel dazu aber so viele Fakten wie möglich zu schaffen. Auf diese Weise bekam er bereits die Halbinsel Krim unter seine Kontrolle. Ähnlich verläuft der Konflikt in der Ost-Ukraine.

Im April ließ sich Putin von Merkel zu einer klaren Vereinbarung überreden: Als Ergebnis des Genfer Außenministertreffens zwischen USA, Russland, Ukraine und EU versicherten alle Seiten, dass besetzte Gebäude geräumt und "alle illegalen bewaffneten Gruppen entwaffnet" werden müssten. In der Folge stellten die Diplomanten ernüchtert fest, dass Putin damit auch die von der ukrainischen Regierung genutzten Gebäude und die ukrainischen Streitkräfte gemeint hatte. Und da diese nicht entwaffnet worden seien, müsse er auch nicht auf die Separatisten einwirken.

In dem neuen, nach deutschen Angaben völlig aus der Luft gegriffenen angeblichen "Geheimplan" soll der Westen die Krim-Annexion hinnehmen, wenn Putin die Gewalt in der Ost-Ukraine beendet, die Separatisten nicht mehr unterstützt und die Ukraine mit Energie versorgt - wofür diese wiederum auf eine Nato-Mitgliedschaft verzichtet.

Wie der "Independent" zu dieser Information gekommen ist, schreibt er nicht. Aber eine Spur führt nach Moskau. Denn die Zeitung gehört dem russischen Milliardär Alexander Lebedew. Der macht zwar angeblich auch Geschäfte mit dem Kreml, gehört aber eher ins Lager der Opposition. Schließlich ist er auch Besitzer der Putin-kritischen "Nowaja Gaseta", deren unbequeme Reporterin Anna Politkowskaja 2006 ermordet wurde.

Außenpolitiker der Koalition rümpfen die Nase - wegen der Wirkung auf andere Krisenregionen wäre das Krim-Zugeständnis hochproblematisch. Auch habe Merkel gar nicht das Mandat, für die Ukraine Zusagen zu treffen.

Hinter den Kulissen laufen jedenfalls neue diplomatische Bemühungen auf Hochtouren. Merkel ist die treibende Kraft hinter den erstmals empfindlich schmerzenden Sanktionen, die sie mit dem Hinweis an Putin begleiten lässt, dass die EU sie auch jederzeit wieder zurückziehen könne, wenn Putin Einlenken erkennen lasse. In der allgemeinen deutsch-russischen Eiszeit legt Deutschland ebenfalls großen Wert darauf, den Dialog insgesamt nicht abbrechen zu lassen. So wird für den Oktober eine Neuauflage des "Petersburger Dialogs" vorbereitet. Dazu sollen zahlreiche Vertreter der deutschen Zivilgesellschaft nach Russland reisen.

(may-)
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