Düsseldorf Ausgeblutete Kommunen

Düsseldorf · Boomende Konjunktur und niedrige Zinsen haben die Finanzlage in Nordrhein-Westfalen laut einer Bertelsmann-Studie kaum entspannt.

Düsseldorf: Ausgeblutete Kommunen
Foto: Ferl

In Wermelskirchen essen die Grundschüler im Container zu Mittag - und daran wird sich so schnell nichts ändern. Die Stadt hat kein Geld für ein neues Mensagebäude. "Für die Kinder ist das nicht so schön, aber in unserer Lage ist nichts anderes möglich", sagt Bürgermeister Rainer Bleek. 2016 lag die Gesamtverschuldung pro Einwohner dort bei 2361 Euro.

Wie Wermelskirchen geht es vielen NRW-Kommunen. Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge ist ihre Finanzlage weiterhin angespannt - trotz guter Konjunktur und niedriger Zinsen. Ihr Handlungsspielraum für die Zukunft sei damit stärker eingeschränkt als andernorts. Zwar wurde in NRW insgesamt der erste Haushaltsüberschuss seit der Finanzkrise 2008 erzielt. Doch die Investitionen und Steuereinnahmen bleiben weiterhin hinter dem Bundesschnitt zurück.

Besonders kritisch: Die Kassenkredite, die den Kommunen ähnlich wie Dispo-Kredite nur zur kurzfristigen Überbrückung von Finanzengpässen dienen sollen, sind der Studie zufolge zum Dauerzustand geworden. Eine Ursache dafür ist, dass zwar die Einnahmen der Städte und Gemeinden wachsen. Gleichzeitig steigen aber die Ausgaben insbesondere für soziale Aufgaben beinahe genauso stark.

Die Stabilisierung der kommunalen Finanzen ist eine der zentralen Herausforderungen für die neue schwarz-gelbe Landesregierung. Die zuständige Ministerin Ina Scharrenbach (CDU) hatte angekündigt, den von der Vorgänger-Regierung eingeführten Kommunal-Soli abzuschaffen, der Unterschiede zwischen armen und reichen Kommunen ausgleichen sollte. In der Studie heißt es dazu: "Der Stärkungspakt wirkt, kann das Problem der Altlasten aus Kassenkrediten aber nicht lösen."

Im Bundesvergleich liegt NRW mit einem Haushaltsüberschuss der Kommunen von 650 Millionen Euro oder 36 Euro pro Einwohner nur an neunter Stelle. "Im langfristigen Vergleich fällt NRW bei Wirtschaftswachstum und Steuereinnahmen zurück", sagte Bertelsmann-Finanzexperte René Geißler.

Zugleich rangiert das Land auf Platz drei der Hauptschuldenländer - hinter dem Saarland und Rheinland-Pfalz. Denn der Schuldenstand pro Einwohner stieg um elf auf 3095 Euro. Die 17 höchstverschuldeten Kommunen liegen in zwei Ländern: NRW und Rheinland-Pfalz. Allein die Stadt Essen verzeichne mehr als doppelt so hohe Kassenkredite wie alle Kommunen in Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen zusammen. Dabei muss die Hälfte aller Kommunen bundesweit gar nicht darauf zurückgreifen. Die Unterschiede innerhalb von NRW sind allerdings erheblich: Pro Einwohner erreicht Düsseldorf dreimal so hohe Steuereinnahmen wie Herne.

Wirtschaftsforscher sehen die Landesregierung in der Verantwortung: "Die Kommunen hängen am Tropf der Länder", sagte Tobias Hentze, Ökonom beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Von den Steuer-Mehreinnahmen hätten sie mehr profitiert als der Bund und die Kommunen. Auch der Berliner Wirtschaftswissenschaftler Achim Truger und die Gewerkschaft Verdi sehen das Land in der Pflicht. In einer gemeinsamen Initiative hatten sie die Gründung eines Entschuldungsfonds für die Kommunen gefordert, den das Land tragen sollte. Ministerin Scharrenbach versprach gestern, sie werde "der kommunalen Familie die Unterstützung geben, die sie lange Zeit vermisst hat". Mit den Kommunen will sie eine Transparenzkommission zur Aufgabenkritik, zum Bürokratieabbau, zu Soziallasten und zur Standard-Überprüfung einrichten.

Die Gespräche dürften es in sich haben: Der Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) etwa erwartet beim Thema G9 an Gymnasien finanzielle Hilfe vom Land: "Die Rückkehr zu diesem Modell bedeutet eine zusätzliche Belastung." Frank Stein, Kämmerer in Leverkusen, wünscht sich, dass die Kommunen von der Gesetzesnovelle bei Unterhaltsvorschüssen freigestellt werden. Ferner sollten Bund und Land vollständig die Kosten für die Betreuung von Flüchtlingen übernehmen. In Remscheid sagte Kämmerer Sven Wiertz: "Das Wichtigste für uns ist die Einrichtung eines Altschuldenfonds." Und sein Neusser Kollege Frank Gensler fordert die auskömmliche Finanzierung übertragener Aufgaben - und keine neuen Aufgaben ohne passgenaue Gegenfinanzierung. Gensler: "Wer die Musik bestellt, soll sie auch bezahlen."

(RP)
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