Berlin Ausgespäht

Berlin · Nach einer Serie von Skandalen und Affären sollen die deutschen Geheimdienste an die Kontrollkette. Zudem bekommt der BND gesetzlich vorgeschrieben: Ausspähen unter Freunden - das geht (fast) gar nicht mehr.

Es war eine Bewegung in zwei Geschwindigkeiten: Rasant wuchsen die vor allem in den USA entwickelten neuen Möglichkeiten zum Abhören und Überwachen mittels Suchmerkmalen ("Selektoren"). Dagegen war die parlamentarische Kontrolle im Schneckentempo unterwegs. Nun soll sie nach einer Verständigung zwischen Union und SPD einen kräftigen Satz nach vorne machen. Von einem Quantensprung spricht SPD-Geheimdienstexperte Burkhard Lischka. Doch der Opposition reicht das bei Weitem nicht.

900 Seiten umfasst die streng geheime Liste mit Spionagezielen des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Europa und den USA. Zeile für Zeile gespickt mit Telefonnummern, E-Mail- und IP-Adressen. Das Ausspähen unter Freunden (von der Kanzlerin mit der Botschaft versehen: "das geht gar nicht") war also verbreitete Praxis im deutschen Auslandsgeheimdienst. Nun will die große Koalition Konsequenzen ziehen und aus dem lernen, was der NSA-Untersuchungsausschuss in wochenlangen Zeugenbefragungen und aus Bergen von Akten zutage förderte: Künftig muss der BND-Präsident persönlich größere Überwachungsvorhaben anordnen - und sie zudem vom Kanzleramt genehmigen lassen.

Per se sind zudem sowohl Deutsche als auch Europäer als Spionageziele für den BND gesetzlich tabu. Aber die Schlapphüte bekommen ein Schlupfloch: Sie dürfen ausnahmsweise Ziele in EU-Staaten anpeilen, wenn es um Terrorismus, organisierte Kriminalität und den Bruch von Rüstungsembargos geht.

Für das BND-Gesetz verständigte sich Lischka mit Unions-Unterhändler Clemens Binninger auf diese Eckpunkte, die aber vom Kanzleramt noch in einen Entwurfstext gegossen werden. Anders bei der Novelle des parlamentarischen Kontrollrechts: Das machen die Fraktionen selbst. Beides soll Anfang nächsten Jahres zur ersten Beratung ins Parlament, im Sommer beschlossen sein und dann zum 1. Januar 2017 in Kraft treten.

Das gerade zum Start dieser Wahlperiode um Rechte und Personal erweiterte Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) bekommt erneut mehr Mittel und Möglichkeiten. Drei bis vier Referate der Bundestagsverwaltung mit bis zu 14 neuen Mitarbeitern sollen die Arbeit der Kontrolleure unterstützen, angeführt von einem "Ständigen Bevollmächtigten". Die Bezeichnung lässt erahnen, dass dahinter ein schwieriger Kompromiss steckt.

Diese auf B 9-Besoldung (Monats-Brutto: 10.746,50 Euro) angesiedelte Person soll mehr sein als ein Sonderermittler, der bei Bedarf zur Unterstützung herangezogen würde, aber weniger als ein Geheimdienstbeauftragter, der etwa nach dem Vorbild des Wehrbeauftragten einen eigenen Apparat und eine eigenständige Kontrollaufgabe übernähme. Vor allem soll die Person die Arbeiten der Kontrollausschüsse PKGr, "G-10-Kommission" und Vertrauensgremium im Bundestag koordinieren.

Um das Misstrauen der Opposition gegen eine möglicherweise zu eng der Koalitionsmehrheit verbundene Persönlichkeit zu nehmen, soll die Stelle jeweils für fünf Jahre besetzt werden. Wer also Ende 2016 das Rennen macht und am 1. Januar 2017 seinen Dienst antritt, wird über das Ende der nächsten Legislaturperiode hinaus den Hut aufhaben, also auch unter veränderten Mehrheitsverhältnissen. "Das neue Modell mit einer auf fünf Jahre angelegten Wahl durch das Parlamentarische Kontrollgremium ist auf Konsens angelegt", erläutert Lischka.

Die Koalitionäre denken etwa an ehemalige Bundesrichter oder Bundesanwälte. Jedenfalls soll es anders sein als beim Wehrbeauftragten, wo aktive Parlamentarier gewählt werden und dann aus ihrem Mandat in die Kontrollfunktion wechseln.

Die Opposition misstraut der Konstruktion. "Die Linke lehnt die Einsetzung eines ständigen Geheimdienstbeauftragten ab", sagt deren Fachpolitiker André Hahn, derzeit PKGr-Vorsitzender. Ein solcher Beauftragter könne die Arbeit der Abgeordneten und ihre besondere Kontrollfunktion nicht ersetzen, schon gar nicht, wenn er von der Koalition ausgesucht und gewählt werde. Hahn befürchtet zudem, "dass den Oppositionsvertretern künftig wichtige Akten vorenthalten werden unter Verweis darauf, der Geheimdienstbeauftragte hätte diese ja bereits geprüft". Auch Hans-Christian Ströbele von den Grünen ist von den Reform-Plänen der Koalition noch nicht überzeugt. Aber er deutet Verständigungsmöglichkeiten an und nennt als eine Bedingung, dass die Opposition bei der Einsetzung des Geheimdienstbeauftragten "entscheidend mitbestimmen" könne. Zudem dürfe diese Person die Kontrolle durch die Abgeordneten nicht ersetzen, sondern nur unterstützen.

Außerdem verlangen die Grünen, dass ein Belügen des Kontrollgremiums oder ein "pflichtwidriges Verschweigen von Vorgängen" als schweres Dienstvergehen geahndet werden muss. Um den Druck zu erhöhen, sollten die Abgeordneten nach Meinung der Grünen künftig auch aus geheimen Sitzungen und Akten Verfassungsverstöße und Straftaten öffentlich machen können.

Die Frage bleibt, ob die neuen Vorschriften für die Praxis ab 2017 dann immer noch auf der Höhe der Zeit sein werden. Die Geheimdienstkontrolle dürfte vielmehr zur Dauerbaustelle werden und ständig nachgeschärft werden müssen, wenn bei den Verantwortlichen das Fingerspitzengefühl fehlt. Wie etwa bei der jüngsten Enthüllung, dass selbst der deutsche Spitzendiplomat Hansjörg Haber, der Mann der Innen-Staatssekretärin Emily Haber, ausspioniert worden sein soll.

(RP)
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