Roland Jahn "Ausländerfeindlichkeit wurde im Osten vertuscht"

Der Chef der Stasiunterlagenbehörde spricht über 25 Jahre Deutsche Einheit und die Nachwirkungen der DDR.

Herr Jahn, viele vergleichen derzeit die Flüchtlingskrise mit der Herausforderung der Wiedervereinigung. Sehen Sie Parallelen?

Jahn Wir können aus der Vergangenheit Kraft schöpfen. Das scheinbar Unmögliche ist möglich. Deshalb ist es gut, sich daran zu erinnern, vor welchen Herausforderungen Deutschland schon einmal stand, und sich klarzumachen, dass die Herausforderungen auch jetzt wieder groß sind.

Ist die Wiedervereinigung nach 25 Jahren vollendet?

Jahn Ich bin optimistisch, wenn ich die junge Generation sehe. Wenn ich mit Studenten an der Universität meiner Heimatstadt Jena spreche, dann sagen sie mir, sie kommen aus Bayern und Brandenburg. Sie sprechen nicht mehr von Ost und West. Es ist doch ein schönes Signal, dass ein einheitliches Deutschland gelebt wird. Wenn auch die Älteren lernen, sich allseits mit Respekt vor der Biografie des anderen zu begegnen, dann bin ich guter Dinge, dass wir die Einheit auch leben.

Experten sehen in den Übergriffen auf Flüchtlingsheime in Ostdeutschland durchaus ein regionales Phänomen. Ausländerfeindlichkeit habe es auch in der DDR gegeben, sie wurde nur unter den Teppich gekehrt. Bestätigt sich das in den Stasi-Akten?

Jahn Ausländerfeindlichkeit gab es im Osten, aber sie wurde vertuscht. Das zeigen die Akten der Staatssicherheit. Es gibt klare Dokumente und auch eine geheime Studie, die schon die Stasi veranlasst hat. Es gibt Fotos davon, wie Rechtsradikale der NS-Zeit huldigen. Aber natürlich stehen Gewalttaten in Ostdeutschland nicht für den gesamten Osten. Ich kenne genug Leute, die den Geist der friedlichen Revolution und die Menschenrechte hochhalten. Auch das ist Ostdeutschland. Natürlich muss man betrachten, dass sich Ost und West in den vergangenen Jahrzehnten unterschiedlich entwickelt haben. Eine in 70 Jahren gewachsene Zivilgesellschaft kann natürlich Fremdenfeindlichkeit etwas anderes entgegensetzen als eine sich erst seit 25 Jahren entwickelnde Zivilgesellschaft.

Macht die Diktaturerfahrung der DDR die Menschen bis heute anfälliger für rechtes Gedankengut?

Jahn Man sollte sich hüten zu pauschalisieren. Es hilft doch nichts, den schwarzen Peter zwischen Ost und West hin- und herzuschieben. Nur die konkrete Betrachtung der jeweiligen Situation vor Ort kann helfen, das Übel an der Wurzel zu packen.

DAS INTERVIEW FÜHRTE RENA LEHMANN.

(RP)
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