Die EU-Kommission ist zurückgetreten 16. März 1999: Politisches Beben erschüttert Europa

Düssseldorf (rpo). Es hätte eigentlich ein ganz normaler Dienstag werden können, dieser 16. März 1999. Doch was an jenem Morgen vor fünf Jahren in Brüssel geschah, war und ist einmalig in der jüngeren europäischen Geschichte: Am frühen Morgen verkündet Jacques Santer, seines Zeichens Präsident der Europäischen Kommission, den Rücktritt der gesamten Kommission.

Ein solches Beben hatte es vor und auch nach diesem 16. März nie wieder gegeben. Doch was war geschehen? Schon lange zuvor war das Verhältnis zwischen EU-Kommission und europäischem Parlament angespannt. Der Ausgangspunkt der Spannungen liegt in Misswirtschaftsvorwürfen, die bis in die Mitte der 90er Jahre zurückreichten. Konkret äußerten sich die Spannungen in der Weigerung des EU-Parlaments am 17. Dezember 1998, die Kommission für ihre Haushaltsführung im Jahr 1996 (!) zu entlasten.

Danach überschlagen sich die Ereignisse im Schlagabtausch zwischen Parlament und Kommission. Im Januar 1999 findet ein Misstrauensvotum nicht die nötige Zweidrittel-Mehrheit, nur 232 Abgeordnete wollen die Kommission ablösen. Um Licht in Miss- und Vetternwirtschaft zu bringen, wird die Einsetzung eines "Rates der Weisen" beschlossen, dem ein schwedischer Rechnungsprüfer und je ein Richter aus Spanien, Belgien, Frankreich und den Niederlanden angehören. Und der Bericht eben jenes Rates, vorgestellt am 15. März, sorgt letztlich für den Sturz der Kommission.

Auf 144 Seiten werfen die Experten der Kommission nicht nur einen fahrlässigen Umgang mit Geldern vor, sie gehen sogar noch weiter und sprechen von einem institutionalisierten Missmanagement und einem Kontrollverlust über die Finanzen. Da einzelne Kommissare nicht zurücktreten wollen, um so die Verantwortung zu übernehmen, vollzieht die gesamte Kommission den bislang beispiellosen Schritt des Rücktritts. Im Zentrum der Kritik steht insbesondere die französische Kommissarin Edith Cresson, die durch Vetternwirtschaft in die Kritik geraten ist, sich aber wenig einsichtig zeigt und persönliches Fehlverhalten auch später noch bestreitet. Auch die deutsche Kommissarin Monika Wulf-Mathies ist nicht der Meinung, dass die Vorwürfe ihren Rücktritt gerechtfertigt hätten.

Einen großen Anteil daran, dass die Aktion überhaupt ins Rollen gebracht wurde, hatte ein niederländischer EU-Beamter namens Paul van Buitenen, dessen Fall im Janaur 1999 bekannt wurde. Er hatte in der internen Finanzkontrolle gearbeitet und ihm waren Unregelmäßigkeiten aufgefallen. Er informiert seine Vorgesetzten, hält die dann eingeleiteten Maßnahmen aber nicht für ausreichend. Weil auch die EU-Kommission nicht auf sein Ultimatum reagiert, informiert er das Europäische Parlament in Form der Fraktionsvorsitzenden der Grünen Partei. Van Buitenen wurde seine investigative und mutige Arbeit allerdings nicht gedankt: Mit der Bründung, er habe gegen das Dienstgeheimnis verstoßen, suspendiert ihn die Kommission und leitet ein Disziplinarverfahren ein.

Nach ihrem Rücktritt bleibt die EU-Kommission nocht übergangsweise im Amt. Unter der deutschen EU-Präsidentschaft wird schließlich ein Nachfolger für den Franzosen Jacques Santer gefunden, von dem der britische Ministerpräsident Tony Blair in einer ersten Reaktion sagte, er müsse "so schnell wie möglich gehen". Der Neue heißt Romano Prodi, seines Zeichens bis Oktober 1998 italienischer Ministerpräsident.

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