Woran sich Zeitzeugen erinnern 25 Jahre nach Tiananmen — die Wunden sind geblieben

Peking · Panzer, Schüsse, Blut – die Bilder von der Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens haben sich eingebrannt. Viele Beteiligte von damals sind enttäuscht, dass die chinesische Regierung auch heute hart gegen Kritiker durchgreift.

25 Jahre nach dem Massaker: Die Straßen um Pekings Tiananmen-Platz damals und heute
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25 Jahre nach dem Massaker: Die Straßen um Pekings Tiananmen-Platz damals und heute

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Panzer, Schüsse, Blut — die Bilder von der Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens haben sich eingebrannt. Viele Beteiligte von damals sind enttäuscht, dass die chinesische Regierung auch heute hart gegen Kritiker durchgreift.

Einige verschwanden. Andere verloren ihre Freiheit. Und viele können den Bildern in ihrem Kopf nicht entrinnen oder ihrem Schuldgefühl, weil sie überlebt haben. Am 4. Juni 1989, vor nun 25 Jahren, ließ die kommunistische Führung die Demokratiebewegung am Platz des Himmlischen Friedens in Peking mit blutiger Militärgewalt niederschlagen. Die Aktivisten von damals blicken verstört zurück. "Ich bin der Kapitän eines gesunkenen Schiffes", sagt Wuer Kaixi, damals einer der Studentenführer.

Chinas Wirtschaft, Gesellschaft und Städte haben sich im vergangenen Vierteljahrhundert gewandelt. Aber Demonstranten von damals und ihre Unterstützern erinnern die Welt daran, dass andere Dinge unverändert sind: dass Chinas politische Herrscher weiter kritische Stimmen unterdrücken. Sie verlangen Informationen der Kommunistische Partei, was in jener blutigen Nacht geschah, als eine unbekannte Zahl von Menschen getötet wurde. Und manche halten an ihrem aktiven Kampf für Demokratie fest.

Mit einem Boot aus dem Land geschmuggelt

Wuer war damals Augenzeuge, und es fällt ihm noch heute schwer, über die Geschehnisse zu sprechen. "Ich werde mich immer fragen: 'Warum bin ich nicht gestorben?'", sagt er. Nach der Niederschlagung der Proteste flüchtete er, wurde mit einem Boot aus dem Land geschmuggelt. Heute ist Wuer 46, hat mittlerweile mehr Zeit in den USA und in Taiwan verbracht als in seiner Heimat China. Er ist ein Investmentbanker in Taipeh, verheiratet und Vater von zwei Söhnen. "Ich stufe mich weiter als einen demokratischen Aktivisten ein, einen aktiven Dissidenten. Aber leider kann man davon nicht leben, und deshalb muss ich einen anderen Weg finden, um meine Familie zu ernähren", sagt Wuer.

Er erlebte seine schwerste Zeit nach 1989 am 20. Jahrestag der Proteste vom Tiananmen. China hatte für seine Austragung der Olympischen Spiele 2008 international viel Beifall geerntet und bereitete seine erste globale Messe — die Schanghai Expo — vor. Viele rühmten das Land als Lokomotive, die dabei helfen könne, die Welt aus der Finanzkrise ziehen. "Ich hatte das Gefühl, dass die Welt die demokratische Idee verrät", sagt Wuer. "Aber wir chinesischen Demokratie-Aktivisten wollen unsere bisher unerledigte Aufgabe zu Ende bringen."

Wuer hat in den vergangenen fünf Jahren vier Mal versucht, in seine Heimat zurückzukehren, um seine kranken Eltern zu sehen. Aber wie viele andere Dissidenten wird er nicht nur steckbrieflich gesucht, sondern er darf auch nicht einreisen — und seine Eltern dürfen ihn nicht besuchen. Das schmerze ihn sehr, sagt Wuer. "Aber meine Eltern haben mich dazu erzogen, das Richtige zu tun. Und ich weiß, was ich 1989 getan habe, war richtig."

16 Jahre unter Haussarrest

Während manche die vergangenen 25 Jahre im Exil verbracht haben, wurden andere in China zu einem Leben unter Bewachung verurteilt. Dazu gehörte Parteichef Zhao Ziyang, der Sympathien für manche Forderungen der protestierenden Studenten zeigte, für Zugeständnisse plädierte und dann gestürzt wurde. Er verbrachte die letzten 16 Jahre seines Lebens unter Hausarrest. Sein enger Mitarbeiter Bao Tong saß sieben Jahre im Gefängnis und ist seit seiner Freilassung 1996 ebenfalls in seine Pekinger Wohnung verbannt.

Sicherheitskräfte in der Eingangshalle des Apartment-Komplexes überprüfen Besucher streng. Ein Reporter konnte sie jedoch umgehen und zu Bao gelangen, der von seiner Enttäuschung darüber spricht, "dass es ist, als wäre die Zeit für China stillgestanden". Er beklagt, dass die Führung bis heute dem chinesischen Volk nicht die Wahrheit darüber gesagt habe, was damals wirklich geschehen sei. Bao macht zu 99 Prozent den 1997 gestorbenen damaligen Parteichef Deng Xiaoping für den Einsatz des Militärs verantwortlich. "Er fürchtete, das Volk könne zum Herrscher über das Land werden", sagt Bao.

Mutter: "Wir Menschen in China haben schon zu viel gelitten"

Wang Nan war damals 19, stand kurz vor dem Schulabschluss. Aus Neugier nahm er in jener Nacht seine Kamera und machte sich auf den Weg zum Platz des Himmlischen Friedens. Seine Mutter, Zhang Xianling, suchte tagelang nach ihm und erfuhr dann durch inoffizielle Kanäle, dass chinesische Soldaten Wang in die Stirn geschossen hatten. Medizinstudenten versuchten ihm zu helfen, aber konnten ihn nicht in ein Krankenhaus bringen, weil das Gebiet abgeriegelt war.

Zhang hat Wangs Schülerausweis, Fotos und Briefe von ihm in einem Karton in ihrem Wohnzimmer aufbewahrt — samt der Todesurkunde und einer Aufnahme, die einer der Studenten damals gemacht hat. Sie zeigt die halb begrabene, in Plastik gewickelte Leiche ihres Sohnes. Zhang ist heute Mitglied des Netzwerkes "Mütter vom Tiananmen". Die Organisation fordert, dass die Vorgänge von damals voll aufgeklärt und die Verantwortlichen — falls noch möglich — zur Rechenschaft gezogen werden.

Jedes Jahr vom ersten Wochenende im April bis zum 5. Juni wird Zhangs Bewegungsfreiheit eingeschränkt, damit sie zum Jahrestag nicht über die Vorgänge von damals sprechen kann. Polizisten fahren sie manchmal zum Grab ihres Sohnes, um sicherzustellen, dass keine Journalisten oder Sympathisanten sie begleiten. "Die Narben werden für immer in meinem Herzen sein", sagt Zhang. Zugleich äußert sie ihre Entschlossenheit, weiter die Brutalität von damals anzuprangern. "Wir Menschen in China haben schon zu viel gelitten."

(ap)
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