Hintergründe zu 9/11 Wie tief ist Saudi-Arabien in die Anschläge verwickelt?

New York · Die Hintergründe der 9/11-Anschläge, glaubt ein Ex-Senator aus Florida, sind noch lange nicht aufgeklärt: Die Rolle Saudi-Arabiens müsse genauer unter die Lupe genommen werden.

 Bob Graham glaubt an eine tiefere Verwicklung Saudi-Arabiens in die 9/11-Anschläge.

Bob Graham glaubt an eine tiefere Verwicklung Saudi-Arabiens in die 9/11-Anschläge.

Foto: afp, cs

Bob Graham steht vor einer blauen Wand im National Press Club in Washington und antwortet geduldig auf Fragen. Was sich 15 Jahre danach wohl noch unter dem Teppich hervorkehren lasse? 15 Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001? "Wir haben den Korken erst jetzt aus der Flasche gezogen", antwortet er. Nun würden die Informationen erst richtig fließen, nun werde nach und nach alles publik, was die Ermittler derzeit noch unter Verschluss halten.

Graham hat in Harvard Jura studiert, seine Sprache ist die eines versierten Advokaten. Er saß 18 Jahre lang im US-Senat, davor war er Gouverneur Floridas, wo er sich angewöhnte, einen Tag pro Woche zu arbeiten, wie normale Leute es tun. Mal zog er an Supermarktkassen Waren über den Scanner, mal half er kaputte Schuldächer zu reparieren. Einmal versuchte er sich sogar als Discjockey bei einem haitianischen Radiosender in Miami. Der 11. September 2001 war schon deshalb ein Einschnitt im Leben Grahams, weil sich sein Leben von da an fast nur noch um den 11. September drehte. Als Senator leitete der Demokrat aus Miami eine Parlamentskommission, die herauszufinden versuchte, warum die US-Geheimdienste vor dem Terrorangriff derart im Dunkeln tappten. Heute, 79 Jahre alt, ist er in den Augen der Regierung der Mann, der einfach nicht loslassen kann.

Ob er wirklich nichts Besseres zu tun habe, zitiert er einen Ministerialbeamten, der angesichts seiner Hartnäckigkeit nur den Kopf schütteln konnte. Es ist zwölf Jahre her, dass ein zweites Gremium, die hochkarätig besetzte 9/11 Commission, einen Abschlussbericht vorlegte. George W. Bush betrachtete die Sache damit als abgehakt, und Barack Obama, sein Nachfolger im Oval Office, hat ihm in diesem Punkt nie widersprochen. Graham dagegen findet, dass die Aufklärung noch ziemlich am Anfang steht. Die Freigabe der achtundzwanzig Seiten, sagt der Ex-Senator, sei der Moment gewesen, in dem die Flasche entkorkt worden sei. Eine Wende.

28 Seiten dick ist die Passage aus dem Bericht der ersten, der Graham-Kommission, deren Veröffentlichung das Kabinett Bush im Jahr 2002 verhinderte. Nach zähem Gerangel wurde sie im Juli ins Netz gestellt, wenn auch übersät mit den Balken eines Zensors, die Textstellen überdeckten. Über San Diego etwa ist dort Aufschlussreiches zu lesen.

In der Stadt im Süden Kaliforniens mieteten sich Khalid al-Midhar und Nawaf al-Hasmi ein, die "Logistiker" der Al-Qaida-Zelle um Mohammed Atta, wie sie das FBI nennt. Sie sollten sich um Wohnungen, Kleidung, Verpflegung kümmern, den Alltag der Attentäter organisieren, die nach ihnen eintrafen. In San Diego lebten die Logistiker bescheiden, aber hübsch in den Parkwood Apartments. Fahd al-Thumeiri, Diplomat am saudi-arabischen Konsulat in Los Angeles, soll dem Duo nach neueren Erkenntnissen des FBI unverzüglich einen Betreuer zur Seite gestellt haben.

Auf den brisanten 28 Seiten wiederum wird ausführlich die Rolle eines Saudis namens Omar al-Bayoumi beschrieben, von dem es heißt, dass er vermutlich für den Geheimdienst seines Landes arbeitete. Al-Bayoumi besorgte al-Midhar und al-Hasmi die Wohnung in den Parkwood Apartments, nachdem sie im Januar 2000 für ein paar Tage bei ihm untergekommen waren. Von einer Firma, die dem Verteidigungsministerium in Riad angegliedert war und bei der er sich praktisch nie blicken ließ, bekam er ein Gehalt, das sich zwei Monate nach der Ankunft der beiden Logistiker sprunghaft erhöhte.

Für Grahams Kritiker sind es allenfalls Indizien, keine Beweise. Die 9/11-Kommission kam 2004 zu dem Schluss, dass weder die Regierung Saudi-Arabiens noch einzelne ihrer Mitglieder die Terroristen um Mohammed Atta finanzierten. Das Weiße Haus ließ seinen Sprecher Josh Earnest neulich fast wortgleich das Gleiche erklären. Graham lässt sich nicht beirren. Manche sehen ihn deshalb als Sturkopf, manche gar als Verschwörungstheoretiker. Er selbst sieht sich als Läufer auf einer Marathonstrecke. "Haben diese 19 Personen, von denen die meisten kein Englisch konnten und nie zuvor in den USA waren, diesen komplizierten Auftrag allein ausgeführt?", fragt er. "Oder hat sie jemand unterstützt, während sie unter uns lebten? Und wenn ja, wer? Darum geht es."

Pointiert erinnert er daran, dass 13 der 19 Attentäter in den Wochen vor den Anschlägen die meiste Zeit in Florida verbrachten. Längst nicht alles, was Detektive über diese Phase zusammengetragen hätten, habe die Politik bereits eingefügt in das Puzzle. So wisse man inzwischen, dass die Gruppe um Atta Kontakte zu einer saudischen Familie in Sarasota pflegte, einer Stadt an der Golfküste Floridas. Die aber sei zwei Wochen vor dem 11. September 2001 Hals über Kopf abgereist. Die Sarasota-Connection, orakelt der Ex-Senator, könnte noch Interessantes zutage fördern - wenn man sie denn ernsthaft untersuche.

(fh)
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