Angst vor neuer Gewalt Obama redet afghanischen Präsidentschaftskandidaten ins Gewissen

Washington/Kabul · Steuert Afghanistan nach der Präsidentenwahl auf eine innenpolitische Krise zu? US-Präsident Obama appelliert an die afghanischen Präsidentschaftskandidaten.

Afghanistan: Barack Obama redet Abdullah Abdullah ins Gewissen
Foto: ap

US-Präsident Barack Obama hat die beiden afghanischen Präsidentschaftskandidaten Aschraf Ghani und Abdullah Abdullah zur Zurückhaltung aufgefordert. Obama betonte nach Angaben des Weißen Hauses, es gebe keine Rechtfertigung, auf gewaltsame oder verfassungswidrige Mittel zurückzugreifen. Dies würde ein Ende der US-Hilfe für das Land bedeuten.

Obama telefonierte mit Abdullah, der seine Niederlage bei der Stichwahl nicht anerkennt und den Sieg beansprucht sowie mit Ghani, der bei der Stichwahl nach vorläufigen Angaben in Führung liegt.
Obama betonte, die USA erwarteten, eine gründliche Überprüfung aller begründeten Betrugsvorwürfe. Alle Seiten sollten Schritte vermeiden, die die nationale Einheit Afghanistans gefährdeten.

Der frühere Außenminister Abdullah nannte das vorläufige Ergebnis der Präsidentenwahl, das seinen Kontrahenten Aschraf Ghani deutlich in Führung sieht, ein "Ergebnis von Wahlbetrug". Abdullah sagte am Dienstag in Kabul vor Tausenden Anhängern: "Ich bin in beiden Wahlrunden der Gewinner der ehrlichen Stimmen des afghanischen Volkes."

Abdullah kündigte an, US-Außenminister John Kerry werde am Freitag in Kabul erwartet, um bei der Lösung der Wahlkrise zu helfen. Kerry hatte am Montagabend vor einer "Parallelregierung" in Afghanistan gewarnt. Ghani sagte am Dienstag, er stehe einer Überprüfung von Stimmen nicht im Wege. Er kündigte an, eine Regierung zu bilden, in der sich alle Afghanen wiederfänden. Ghani sagte, er gehe davon aus, dass Abdullah keine Parallelregierung ausrufen werde.

Abdullah hatte die erste Wahlrunde am 5. April deutlich gewonnen, die absolute Mehrheit aber verfehlt. In der Stichwahl gewann Ghani dann nach dem vorläufigen Ergebnis vom Montag 56,44 Prozent der Stimmen, Abdullah kam nur noch auf 43,56 Prozent.

Abdullah kritisierte am Dienstag ein "Dreieck des Betruges" zwischen der Regierung des scheidenden Präsidenten Hamid Karsai, der Wahlkommission und dem Wahlkampfteam Ghanis. "Das afghanische Volk übt Druck auf mich aus, seine gewählte Regierung zu verkünden", sagte Abdullah. "Ich kann Eure Forderung nicht ignorieren, aber bitte gebt mir ein paar Tage Zeit." Die Menge skandierte daraufhin, sie fordere die sofortige Ausrufung der Regierung.

Die EU fordert eine sorgfältige Aufarbeitung möglicher Unregelmäßigkeiten bei der Präsidentenwahl in Afghanistan. "Die Wahlbehörden müssen sicherstellen, dass die Prüfungen der Stimmen (...) gründlich und transparent durchgeführt werden", teilte der Sprecher der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton am Dienstag in Brüssel mit. Dies solle eine angemessene Überprüfung der "schwerwiegenden Anschuldigungen" sicherstellen.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) appellierte an beide Kandidaten, mit politischem Weitblick und gemeinsam mit der Wahlkommission an der Klärung der Vorwürfe mitzuwirken. "Die Menschen in Afghanistan haben Drohungen und Gewalt mutig getrotzt und sich in großer Zahl an beiden Wahlgängen beteiligt. Sie haben Anspruch darauf, dass die Vorwürfe über massive Wahlfälschungen rasch untersucht und vollständig aufgeklärt werden. Die historische Chance auf den ersten demokratischen Machtwechsel in der Geschichte Afghanistans darf jetzt nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden", sagte Steinmeier nach Angaben des Auswärtigen Amtes.

Vor der Veranstaltung in der Halle der Großen Ratsversammlung (Loja Dschirga) in Kabul tauschten Abdullah-Anhänger das überlebensgroße Bild Karsais gegen ein Abdullah-Poster aus. Das Poster trug die Aufschrift "der gewählte Präsident Afghanistans". Abdullah sagte, er wolle keinen Konflikt, aber "das Gesicht Afghanistans kann sich auf mein Signal hin verändern". Befürchtet wird, dass Proteste von Abdullah-Anhängern in Gewalt umschlagen können. Die Vereinten Nationen warnten Kandidaten davor, vorzeitig ihren Sieg zu erklären.

Karsai begrüßte die Verkündung durch die Wahlkommission, betonte jedoch, es handele sich um ein vorläufiges Ergebnis. "Der Sieger wird erklärt werden, wenn das Endergebnis nach der Untersuchung von Beschwerden und der Trennung der gültigen von ungültigen Stimmen verkündet wird." Das Endergebnis soll am 22. Juli bekanntgegeben werden, die Amtseinführung ist für den 2. August geplant.

(dpa)
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