Kanzlerin in Kairo Merkels Afrika-Plan

Kairo · Die Bundeskanzlerin will die Migration aus Nordafrika unterbinden. Ägypten und Tunesien gelten hierbei als Schlüsselländer, sind aber de facto pleite.

 Nach ihrer Rettung aus dem Mittelmeer sitzen Frauen aus Mali im Januar an Deck eines Schiffes.

Nach ihrer Rettung aus dem Mittelmeer sitzen Frauen aus Mali im Januar an Deck eines Schiffes.

Foto: Olmo Calvo

"Merkel liebt Sisi", heißt es in Kairo derzeit. Warum sonst würde die deutsche Kanzlerin den ägyptischen Staatspräsidenten Abdel Fattah al Sisi besuchen, ist der für Ägypter logische Gedankengang. Man besucht doch nur Leute, die man mag.

Die 48-jährige Ägypterin Suhad ist davon überzeugt, dass die Chemie zwischen den beiden stimmt. Merkel solle auch noch Geld mitgebracht haben, hat die Verkäuferin von Papiertaschentüchern an der Hauptstraße im Bezirk Zamalek gehört: "Ein Gastgeschenk aus Germany." Suhad ist eine von zahlreichen schwarz gekleideten Frauen, die auf Kairos Straßen stehen oder sitzen und den Vorbeieilenden Päckchen mit Taschentüchern entgegenstrecken, um nicht nur betteln zu müssen. Suhad bekommt derzeit mehr Konkurrenz: Die Armutsrate in Ägypten steigt.

Angela Merkel blieb eine Nacht am Nil. Die Ägypter messen die Gunst eines Gastes stets daran, ob er bei ihnen übernachtet. Für Sisi und seine Landsleute war dieser Besuch der größte außenpolitische Erfolg seit Sisis Amtseinführung 2014. Zwar reiste Sisi bereits nach Berlin, doch lange hielt man es in Berlin für wenig hilfreich, erneut einem autokratischen Herrscher am Nil die Hand zu reichen. Die Flüchtlingskrise hat diese Bedenken in den Hintergrund gedrängt.

So hat Angela Merkel in Kairo vor allem über eine engere Zusammenarbeit in der Migrationskontrolle gesprochen, was sie auch heute in Tunesien fortführt. Zwei Erwägungen stehen dahinter: Je weniger Flüchtlinge über Nordafrika in Europa ankommen, desto geringer wird auch der Druck auf die EU, diese zu versorgen und ihnen faire Asylverfahren zu gewähren. Aus humanitären Gründen will die Bundesregierung zudem den Schleppern das Handwerk legen, die die Flüchtlinge auf unsicheren Booten in Lebensgefahr bringen.

Der Besuch am Donnerstag in Ägypten ging mit nur wenig konkreten Ergebnissen zu Ende. Man wolle in der Flüchtlingsfrage enger zusammenarbeiten, hieß es hinterher. Flüchtlinge in Ägypten sollen mit Programmen unterstützt werden. Ägypten will zudem die Arbeit deutscher Stiftungen wieder zulassen.

 Merkel im Gespräch mit dem ägyptischen Präsidenten Sisi.

Merkel im Gespräch mit dem ägyptischen Präsidenten Sisi.

Foto: rtr, AA/

Am Abend traf Merkel noch eine Reihe prominenter Regierungskritiker und Menschenrechtler. Die Teilnehmer des Termins wurden von deutscher Seite nicht genannt, um das Gespräch nicht zu gefährden. Regierungssprecher Steffen Seibert teilte lediglich mit, Merkel habe Menschenrechtsanwälte getroffen. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur waren für den Termin unter anderem die ägyptische Frauenrechtlerin und Trägerin des alternativen Nobelpreises 2016, Mosn Hassan, der bekannte Kolumnist Ibrahim Eissa, der ehemalige Abgeordnete Mohammed Anwar al Sadat und Gewerkschaftler Chalid al Balschi vorgesehen.

In Afrika kommt Merkel nur in kleinen Schritten voran. Im Herbst erst reiste sie nach Mali und in den Niger, die klassischen Transitländer für Flüchtlinge. Die Bundesregierung würde gerne deutsche Unternehmen nach Afrika locken, die dort investieren und den Menschen eine Perspektive geben. Doch die Unternehmen stehen nicht Schlange. Bürokratie, Korruption und schwierige Sicherheitslagen schrecken die Investoren ab.

Das Abkommen der Europäischen Union mit der Türkei galt lange als Blaupause für den Umgang mit nordafrikanischen Ländern. Ähnliche Summen, wie die EU der Türkei für die Versorgung der Flüchtlinge zahlt, wären auch in den Ländern Nordafrikas willkommen. Ägypten etwa ist de facto pleite und hangelt sich von einem Kredit zum nächsten. Seitdem die Geldquellen Saudi-Arabiens weitgehend versiegt sind und auch der Internationale Währungsfonds immer härtere Auflagen vorgibt, kommt Sisi der Migrantendeal mehr als gelegen.

Von Auffanglagern wollen sie in Ägypten aber nichts wissen. Wie viele Flüchtlinge tatsächlich im Land leben, ist umstritten. Während Regierungsmitarbeiter von fünf Millionen Menschen sprechen, geht das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen von nur 200.000 aus. Merkel sprach am Donnerstag von allein 500.000 aus Syrien.

Ähnlich wie beim Türkei-Abkommen sind Vereinbarungen aller Art über die Flüchtlingspolitik eine Gratwanderung für die Bundesregierung. Merkel sieht sich permanent dem Vorwurf ausgesetzt, mit zweifelhaften und undemokratischen Staatschefs zu paktieren, um Europa die Flüchtlinge von der Küste zu halten. Viele Kenner Ägyptens kritisierten die Kanzlerin vor Abflug noch heftig. "Ägypten kämpft im Innern ums Überleben, und Deutschland bezeichnet unser Land als Faktor der Stabilität. Was will die Kanzlerin mit einem solchen Kniefall?", fragte der in Ägypten lebende katholische Seelsorger Monsignore Joachim Schroedel "Bild Online". Insbesondere die Lage der Christen in Ägypten ist angespannt. Religionsfreiheit genießen sie nicht.

Der Außenpolitik-Experte der Grünen, Omid Nouripour, kritisierte den Kurs der Kanzlerin. "Ägypten als stabilisierendes Element zu bezeichnen, ist Augenwischerei", sagte Nouripour unserer Redaktion. "Al Sisi hat eine poröse Friedhofsruhe hergestellt, keine Stabilität."

(qua)
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