Lebensretter in Aleppo Einblick in den Alltag im Syrien-Krieg

Aleppo · Im Bürgerkrieg in Syrien ist kein Ende in Sicht. Ein Mitglied der freiwilligen Helfer "Weißhelme" und ein Arzt berichten aus der hart umkämpften Stadt Aleppo im Norden des Landes.

Syrienkrieg: Einblicke in den Alltag
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Einblicke in den Alltag in Aleppo (Oktober 2016)

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Foto: rtr, CK/ TC

Ismail Abdallah (29), Mitglied der "Weißhelme", eine aus rund 3000 Freiwilligen bestehende Zivilschutzorganisation in Syrien

Vor Kurzem hatte ich einen Einsatz in der Altstadt von Aleppo. Wir waren schon ganz in der Nähe, als eine weitere Fassbombe explodierte. Die Menschen waren gerade aus dem Schutzraum gekommen, als sie die zweite Bombe traf. Wir konnten nur noch Leichen bergen - fünf Kinder, sieben Frauen, darunter eine Schwangere, und fünf Männer. Ich erinnere mich an ein Baby, dessen kleiner Körper in der Mitte durchtrennt war. So etwas sehe ich seit drei Jahren immer mal wieder, doch mittlerweile hört die Bombardierung nicht auf.

Ich stehe morgens auf und gehe zu unserem Einsatzzentrum. Es ist das einzige von insgesamt vier Zentren, das noch steht. Dann schauen wir in den Himmel, ob wir Flugzeuge und Helikopter sehen. Wenn möglich, versuchen wir ihnen zu folgen, damit wir schon in der Nähe sind. Wenn dann die Bomben explodiert sind, graben wir nach den Verschütteten, bergen sie und bringen sie in das nächste Krankenhaus oder Feldlazarett. Je nachdem, was in der Nähe ist.

Als wir anfingen, haben wir den Schutt mit bloßen Händen weggeräumt. Inzwischen haben wir dank Spenden aus dem Ausland etwas Ausrüstung. Schützen können wir uns nicht, denn häufig folgt auf eine Bombardierung eine weitere. So verlieren wir immer wieder Freiwillige. Im Moment gibt es 120 Männer und Frauen beim "Civil Defence Service". Viele nennen uns "Weißhelme", weil wir so erkennbar sind für die Bevölkerung. Aber Auswirkungen auf unsere Arbeit hat es nicht. Die Luftwaffe unserer Regierung oder die Russen nehmen dennoch keine Rücksicht.

Bombenangriffe in Syrien gehen weiter
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Bombenangriffe in Syrien gehen weiter

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Foto: afp

Die Helikopter und Flugzeuge des Regimes fliegen so tief, dass sie uns mit unseren Helmen sehen müssten. Dennoch waren unsere Chancen besser, Leben zu retten und selbst am Leben zu bleiben, solange uns nur das Regime bombardiert hat. Die russischen Bomber fliegen so hoch, dass wir sie vom Boden aus kaum erkennen können. Plötzlich fallen Bomben, und du weißt gar nicht, woher sie kommen. Die russischen Bomben, die jetzt über Aleppo abgeworfen werden, sind andere als die, die vor der Waffenruhe eingesetzt worden sind. Einige sind so gewaltig, dass sie metertiefe Krater in den Boden sprengen. Es fühlt sich wie ein Erdbeben an, wenn sie irgendwo in der Stadt einschlagen.

Viele unserer Fahrzeuge sind in den vergangenen Tagen zerstört worden, und es wird immer schwieriger, Opfer zu erreichen. Aber noch versuchen wir zu helfen - soweit es eben geht. Ich mache mir keine Gedanken mehr, was mit mir passiert. Ich wollte zu den Weißhelmen, weil wir Leben retten und nicht zerstören. Das ist meine Aufgabe, und ich werde sie erfüllen, solange es geht.

Mohamed Alhalaby (43), Arzt

Ich bin einer von 40 Ärzten, die es im Moment noch im belagerten Teil Aleppos gibt. Wir Ärzte arbeiten rund um die Uhr, seitdem das Regime und die Russen die Bombardierungen wieder aufgenommen haben. Wir haben keine Möglichkeit, längere Pausen zu machen. Es kommen ja ständig neue Verwundete. Die Fälle gleichen sich. Ich denke an ein achtjähriges Mädchen, das ich behandelt habe. Sie heißt Lara. Die Rettungskräfte haben sie unter einem Leichnam geborgen, unter dem sie stundenlang gelegen hat. So sieht ein normaler Tag im Moment für mich aus.

Wir verlieren täglich Patienten, weil wir sie nicht angemessen behandeln können. Unser Gesundheitswesen in Syrien war nicht schlecht vor dem Krieg. Die Kliniken in Aleppo waren modern ausgerüstet. Jetzt gibt es nur noch wenige Kliniken, die halbwegs funktionstüchtig sind. Sie können nur mit halber Kapazität arbeiten, weil auch sie beschädigt sind. Wir arbeiten in Ruinen. Die Fenster haben kein Glas; Staub und Rauch ziehen durch die Gänge, wenn in der Nähe bombardiert wird. Die Verwundeten liegen auf dem Boden mit ihren offenen Wunden, und wir waten durch das Blut.

Der ganze Klinikbetrieb hängt von unseren Treibstoffvorräten ab. Nur dank der Generatoren laufen die Lampen während der Operationen. Wenn ich das Internet nutze, verbrauche ich etwas von unseren kostbaren Reserven. Wenn unsere Vorräte aufgebraucht sind, müssen wir die Kliniken schließen. Aber was würde dann?

Neben der unsicheren Stromversorgung ist das Wasser unsere große Sorge. Aus den Leitungen fließt nichts mehr. Gott sei Dank haben wir einen eigenen Brunnen. Aber sauber ist das Wasser nicht. Wir müssen es aber unseren Patienten zu trinken geben und unsere Instrumente damit reinigen. Viele werden von dem Wasser krank. Wenn wir damit Wunden reinigen, werden häufig Erreger übertragen. Viele Patienten leiden wegen des verschmutzen Wassers in der Stadt an Leishmaniose. Das ist eine von Mücken übertragene Krankheit, die das Fleisch auffrisst. Die Mücken vermehren sich, weil das Wasser aus den kaputten Rohren ausgelaufen ist und überall faulige Tümpel gebildet hat.

Die größten Probleme bereiten uns die Brandwunden. Seitdem so viele Brandbomben abgeworfen werden, haben wir immer mehr Patienten mit schweren Verbrennungen. Wir versuchen, die Wunden mit einer Salzlösung zu desinfizieren, aber es ist schwierig, sie steril zu halten. Unsere Vorräte an Schmerz- und Narkosemitteln sind begrenzt. Aber bisher musste ich noch nicht ohne Anästhesie operieren.

Seit dem Ende der Waffenruhe ist es schwierig geworden. Wir können unsere Patienten nicht auf dem Tisch zurücklassen, um in den Keller zu gehen. Also behandeln wir die Wunden und hoffen, dass kein Volltreffer einschlägt. Wir wissen auch, dass viele Menschen in Aleppo uns gar nicht mehr erreichen können, weil die Straßen zerstört sind. Es gibt einige Feldlazarette, aber dort können die Menschen nur mit beschämend primitiven Methoden behandelt werden. Unter den Trümmern liegen viele Leichen, die niemand bergen kann. Überall in der Stadt stinkt es nach Verwesung. Das ist auch ein medizinisches Problem, weil sich so Seuchen ausbreiten. Mich beunruhigt auch, dass immer mehr Patienten Zeichen von Unterernährung zeigen. Daran kann ich nichts ändern.

Ismail Abdallah und Mohamed Alhalaby schilderten uns ihre Erlebnisse in einem Telefongespräch. Aufzeichnung: Cedric Rehman

(RP)
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