Sparbremse gefährtet zehntausende Jobs Amerikas stolze Werften vor dem Aus

Newport · Weil es im Haushaltsstreit in Washington keine Einigung gibt, muss das Pentagon drastisch sparen. Zehntausende Jobs wackeln.

Die Werft der US-Marine in Newport
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Die Werft der US-Marine in Newport

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Schwere Hammerschläge dröhnen über den James River, Schleifmaschinen kreischen, irgendwo zucken die Lichtblitze eines Schweißgeräts. Mittendrin ein grauer Turm, umstellt von Gerüsten, versehen mit der Nummer 78. Es ist die künftige Kommandozentrale des Flugzeugträgers Gerald R. Ford, der gerade zusammengenietet wird in der Werft von Newport News.

Grau ist überhaupt die beherrschende Farbe am Ufer des majestätisch breiten James River. Graue Schiffe, graue Kräne. Sie thronen über den Häusern der Stadt wie Gulliver über den Zwergen. Alles hier dreht sich ums Militär, kein zweiter Landstrich Amerikas steht so sehr im Zeichen der Kriegsmarine wie der Südostzipfel Virginias, das Dreieck zwischen Newport News, Norfolk und Virginia Beach mit seinen knapp zwei Millionen Bewohnern.

Am Tropf des Staates

Das heißt aber auch, kaum eine andere Region der USA lebt so sehr von Staatsaufträgen. Als das Land 2008 in die Rezession taumelte, war es ein Rettungsanker, denn der Verteidigungsetat wuchs auch in schlechten Zeiten. Es bedeutete krisensichere Jobs, allein bei Huntington Ingalls Industries waren das 21 000 gut bezahlte Arbeitsplätze. Jetzt, da der Wirtschaftsmotor wieder anspringt, bekommt Newport News jedoch die Folgen einer politischen Krise zu spüren. Weil sich Demokraten und Republikaner auf nichts mehr einigen können, saust das Damoklesschwert automatischer Haushaltskürzungen nieder. Das Pentagon muss binnen sechs Monaten neun Prozent seines Budgets sparen. Am James River wirkt es wie eine Axt.

"Good Food, Good Friends, Good Times", steht über drei Flachbildschirmen an der Wand von TJ's Sports Tavern: Gutes Essen, gute Freunde, eine gute Zeit. Klobige Nascar-Rennwagen flimmern neben virtuosen Basketballriesen und behelmten, schultergepolsterten Football-Stars über die Mattscheide. Das mit den guten Zeiten auf dem Spruchband, Kevin Huntley kommentiert es mit der ironischen Bemerkung, dass damit wohl die ferne, sehr ferne Zukunft gemeint sei. Huntley, 33, verheiratet, Vater eines vierjährigen Sohns, ist in dem Alter, in dem Amerikaner ein Häuschen kaufen — mieten ist hierzulande ja eher die Ausnahme. Aber nach langen Beratungen am Küchentisch hat er sich der Vorsicht seiner Frau angeschlossen und den Plan fürs Erste auf Eis gelegt. "Wenn du nervös bist, machst du keine großen Sprünge", sagt der Schweißer. "Und weiß Gott, wir sind richtig nervös."

Die Ungewissheit raubt manchem den Schlaf

Noch lassen die blauen Briefe auf sich warten, doch in der rauchgeschwängerten Kneipe gibt es keinen, der nicht mit baldigen Entlassungen rechnet. Matthew Hall überlegt, ob er nicht schon mal auf kleinen, privaten Baustellen anfangen sollte, nach Feierabend und vorzugsweise an Wochenenden, selbst wenn er sieben Tage die Woche malochen müsste. Die Ungewissheit raubt ihm den Schlaf. "Dieses Sparprogramm", fragt Hall sarkastisch, "wer hatte noch mal diese tolle Idee?"

Neil Morgan jongliert mit Zahlen wie Akrobaten mit Bällen. In zwei Wochen muss der City-Manager, der Verwaltungschef der Stadt, den Haushalt fürs nächste Finanzjahr vorlegen, damit er im Juli in Kraft treten kann. Es ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Entfaltet die Sparbremse erst ihre Wirkung, dürften die Leute weniger einkaufen und seltener im Restaurant essen. Beides wird die lokalen Steuereinnahmen drücken, weshalb Morgan überlegt, im Gegenzug die Grundsteuer, seine wichtigste Finanzquelle, anzuheben, vielleicht um fünf, vielleicht sogar um zehn Prozent. Nur weiß er eben noch nicht, wie lange die hausgemachte Krise andauert, ob sich beide Parteien in Washington vielleicht doch noch verständigen, ob das Vertrauen der Verbraucher nur für wenige Wochen erschüttert wird oder für viele Monate.

Das Kürzen als Glaubenssache

In seiner Welt, der realen Welt, sagt Morgan, folge man einem einfachen Prinzip, egal, welches Parteibuch ein Lokalpolitiker in der Schublade habe. Am Ende müsse die Rechnung aufgehen, der Etat Jahr für Jahr ausgeglichen werden, "die Mathematik kannst du nun mal nicht überlisten". So gesehen liege Washington, dieser kleine Planet mit seinen Ränkespielen und Dauerfehden und Schuldenbergen, in einem anderen Sternensystem. "Du weißt nie, kriegen sie nun ein richtiges Budget zustande oder flicken sie wieder nur Löcher." Das lähmende Rätselraten, Morgan wüsste schon, wie man es aus der Welt schaffen könnte. "Schick ein halbes Dutzend City-Manager nach Washington, und in sechs Monaten hätten sie das Chaos geordnet."

Scott Rigell war Autohändler, bevor er auf einer Protestwelle ins Parlament surfte, bei der Wahl des Herbstes 2010, als krisengebeutelte Wähler der politischen Klasse einen Denkzettel verpassten. Nie und nimmer, versicherte er den lokalen Rebellen der ultrakonservativen Tea-Party-Bewegung, werde er höheren Abgaben zustimmen, sobald er im Kongress sitze. Inzwischen hat Rigell zurückgenommen, was er damals feierlich unterschrieb. Nicht nur das, er stellt sich quer zur eigenen Partei. Die meisten Republikaner haben im Grunde nichts gegen das Zwangssparen: Hauptsache, es wird überhaupt gekürzt und sei es nach der Brachialmethode. Rigell sieht das anders.

Im Herbst 2014 will er in Newport News wiedergewählt werden, er kennt die Stimmung vor Ort, deshalb skizziert er Mittelwege. Niedrigere Ausgaben und höhere Steuern in einem Paket, um der Sparbremse des "Sequesters" bald zu entrinnen. Als Barack Obama neulich die Werft besuchte und hinterher zurück in die Hauptstadt flog, setzte sich Rigell zu ihm in die Präsidentenmaschine Air Force One, um über Kompromisse zu reden. Für konservative Hardliner grenzte allein schon die Geste an schnöden Verrat, der frühere Tea-Party-Liebling dagegen klang auf einmal wie ein Echo Neil Morgans, des stocknüchternen City-Managers: "Ich glaube, beide Parteien sind schuld daran, dass wir stehen, wo wir stehen."

(pst/csi/jco/jre)
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