Pro und Contra Brauchen wir wieder Schlagbäume?

Düsseldorf · Die Attentate von Paris heizen die Debatte über die Sicherheitslage in Deutschland an. Zwei Meinungen unserer Leitenden Redakteure Detlev Hüwel und Martin Kessler zur Frage, ob nun zur Abwehr von Terrorgefahren die Kontrollen an den Landesgrenzen verschärft werden müssen.

Am 19. Juni 1990 traten zahlreiche EU-Staaten, darunter auch Deutschland, dem Schengen-Abkommen bei.

Am 19. Juni 1990 traten zahlreiche EU-Staaten, darunter auch Deutschland, dem Schengen-Abkommen bei.

Foto: dpa, awe tba

Wir Demokraten müssen uns zu den Werten unserer freiheitlichen Gesellschaft bekennen. Immer, und nach den Mordanschlägen von Paris erst recht. Wir dürfen uns von den Terroristen nicht beirren lassen, sondern müssen ihnen vielmehr die Stirn bieten. Das bedeutet, sie mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu verfolgen und sie zur Rechenschaft zu ziehen.

Besser wäre es noch, wenn es gar nicht erst zu einem Anschlag kommt. Die stärkere Absicherung der Außengrenzen der Europäischen Gemeinschaft (EU) ist deshalb zwingend erforderlich. Dazu müssen die Sicherheitsbehörden europaweit personell und technisch besser ausgestattet werden und weitaus enger zusammenarbeiten als bisher.

Es ist aber wohl auch an der Zeit, darüber nachzudenken, ob die einst als großer Fortschritt gefeierte Abschaffung der ständigen Kontrollen an den europäischen Binnengrenzen (wie etwa zwischen Deutschland und Frankreich) noch zeitgemäß ist. Angesicht des rapide anwachsenden, international agierenden Terrors in Europa kann man daran erhebliche Zweifel haben.

1985 war in dem luxemburgischen Städtchen Schengen der Grundstein für die Reisefreiheit innerhalb der EU gelegt worden. Fraglos ist es bequem, etwa als Tourist ohne Grenzstopp von einem Land ins andere reisen zu können. Aber "Schengen" macht es auch Verbrechern ziemlich einfach zu entkommen. Man denke beispielsweise nur an die Bande, die vor kurzem in rasanter Fahrt die nordrhein-westfälische Polizei abhängen und in den Niederlanden untertauchen konnte. Mit Schlagbaum wäre das vermutlich so nicht möglich gewesen.

Ich glaube nicht, dass wir ein Quantum unserer Freiheit opfern würden, wenn es wieder ständige Kontrollen an den EU-Binnengrenzen gäbe. Mit einer Re-Nationalisierung hätte dies jedenfalls nichts zu tun, denn dafür ist der europäische Gedanke, für den sich deutsche Politiker wie Konrad Adenauer und Karl Arnold in der Nachkriegszeit so nachhaltig eingesetzt haben, zu tief in unserem Denken verwurzelt. Es geht nicht um eine politische Rolle rückwärts, sondern um mehr Sicherheit für die Menschen in Europa, die in Frieden und Freiheit leben wollen.

Nach den Morden des IS in Paris haben zahlreiche europäische Staaten auf Bitten Frankreichs Grenzkontrollen eingeführt. Die französische Regierung hätte sie gewiss nicht darum ersucht, wenn sie sich nicht einen Fahndungserfolg davon erhoffen würde. Allerdings sieht "Schengen" in solchen Ausnahmefällen nur zeitlich befristete Kontrollen vor. Und danach gilt wieder freie Fahrt für alle?

Natürlich verfügt die Polizei schon über vielfältige Möglichkeiten, Verbrecher dingfest zu machen. Dazu zählt die Schleierfahndung in einer bestimmten Region ebenso wie die Nacheile in einen benachbarten Staat. Ständige Grenzkontrollen würden sie bei ihrer Aufklärungsarbeit unterstützen, aber nicht behindern. Auch deshalb spricht vieles für eine Rückkehr zu nationalen Schlagbäumen. Sie könnten eine Chance sein, skrupellose Schleuser von Flüchtlingen, brutale Einbrecherbanden oder gewiefte Pkw-Diebe zu fassen.

Man muss sich aber darüber im klaren sein, dass es zu Zeitverzögerungen beim Grenzübertritt kommen kann. Aber dies wäre um der Sicherheit willen in Kauf zu nehmen. Das Personal für Grenzkontrollen müsste erst noch aus- oder fortgebildet werden. Doch höhere Sicherheit darf nicht am Geld scheitern.

Das Abkommen von Schengen, das die Schlagbäume für eine große Gruppe von Ländern in der Europäischen Union abschaffte, war ein Meilenstein der europäischen Integration. Die Bürger sollten Europa erleben können. Freie Fahrt von Tallinn bis nach Lissabon. Nur in den Vereinigten Staaten genießen die Bürger eine ähnliche Freizügigkeit. Am besten kann man es an einem kleinen Beispiel sehen. Wer mit dem Auto aus dem Rheinland über Calais nach Großbritannien fährt, passiert drei Grenzen und ist in vier Ländern unterwegs. Im dicht besiedelten Mitteleuropa kann so etwas bei intensiven Grenzkontrollen schnell zur doppelten Reisezeit führen.

Es geht natürlich darum abzuwägen. In einer angespannten Situation, in der Terroristen mit brutalen und sinnlosen Mordaktionen die Bevölkerung bedrohen und für ihre Logistik die freien Grenzen nützen, muss eine Einschränkung erlaubt sein. Deshalb ist die Präsenz der Polizei an der Grenze zurzeit richtig und sinnvoll. Eine vorübergehende Kontrolle der Fahrzeuge an den Hauptverkehrsachsen darf aber nicht auf Dauer eingerichtet werden. So etwas würde den europäischen Gedanken der Freizügigkeit in einem integrierten Kontinent verletzen.

Die Polizei muss andere Mittel erfinden, die wachsende Kriminalität durch reisende Einbrecherbanden oder Mädchenhändlerringe zu bekämpfen. Dazu gehören Schwerpunktkontrollen, eine intensive Fahndung, Einsatz moderner Computersysteme und Austausch der Daten über die Grenzen hinweg. An allem mangelt es in der EU. Aber stattdessen wieder zur Aufstellung von Grenzbäumen zurückzukehren, ist armselig. Man sollte die Erkenntnis, dass bei den Grenzkontrollen im Rahmen des G7-Weltwirtschaftsgipfels viele Kriminelle ins Netz gingen, nutzen, um endlich die überstaatlichen Einrichtungen wie Europol zu stärken. Alle Länder sollten Polizeistellen aufbauen, die den internationalen Austausch schnell und unbürokratische herstellen können. Das ist zukunftsgerichtete Polizeiarbeit mit modernen Methoden, nicht der Einsatz von Schlagbäumen.

Dauerhafte Kontrollen an der Grenze würden auch die Bürger in falscher Sicherheit wiegen. Denn die internationalen Banden würden sich der neuen Situation schnell anpassen. Sie nutzen dann die grüne Grenze, fahren auf Schleichwegen oder operieren mit innerstaatlichen Gruppen, die ihr Diebesgut oder versklavte Menschen an bestimmten Punkten übergeben würden.

Eben hat der Innenminister Thomas de Maizière seine Kanzlerin darüber ins Bild gesetzt, dass eine effektive Sicherung der Grenzen in einem freizügigen Europa nicht möglich ist. Der Integrationsprozess ist soweit fortgeschritten, dass wir uns zunehmend als einheitlichen Raum begreifen müssen. Denn die Einführung von komplizierten Einreiseformalitäten wie in früheren Zeiten kann niemand ernsthaft wollen.

Wir müssen mit den Nachteilen von durchlässigen Grenzen leben. Wir können den Mechanismus zeitweise außer Kraft setzen, um in einer Notsituation angemessen handeln zu können. Die Grenzen aber wieder wie Grenzen erfahrbar zu machen, hieße, in alte enge nationalstaatliche Verfahren zurückzukehren. Das passt nicht zur Globalisierung und Vernetzung der Welt.

Schon in einem Land von der Größe Deutschlands gibt es Unterschiede. Dort können sich auch in bestimmten Stadtvierteln Banden aufhalten, die in ihrer weiteren Umgebung als echte Belästigung und Bedrohung angesehen werden können. Grenzen können diese Entwicklung ebenfalls nicht aufhalten. In Zeiten der europäischen Einigung muss sich die Polizei der Länder neu erfinden und endlich die Grenzen in ihren Köpfen aufgeben. Dann ist der grenzüberschreitende Kriminalität auch nicht mehr das entscheidende Problem.

(RP)
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