Anschlag in Gaziantep Eine Hochzeitsfeier wird vom Traum zum Alptraum

Gaziantep · Ein Attentäter sprengt sich inmitten einer Hochzeitsfeier in die Luft. Mehr als 50 Menschen sterben. Der Anschlag soll von einem Kind verübt worden sein - als Drahtzieher deutet vieles auf den IS.

 Vor den Toren der Stadt werden die Gräber für die Opfer des Anschlags in Gaziantep ausgehoben.

Vor den Toren der Stadt werden die Gräber für die Opfer des Anschlags in Gaziantep ausgehoben.

Foto: ap, BO

Gaziantep, Samstagnacht: Die Amateurvideos nach dem Anschlag auf die kurdische Hochzeitsfeier in der südtürkischen Stadt sind verstörend. Frauen laufen orientierungslos herum, Blutlachen auf dem Boden, zersplitterte orangene Plastikstühle sind zu erkennen, auf denen wohl noch wenige Minuten zuvor Verwandte und Freunde des Brautpaars gesessen haben. Wie oft üblich in der Türkei feierte das Brautpaar auf der Straße: Nachbarn, Verwandte, Freunde, alle sind dabei. Ein Attentäter sprengte sich inmitten der feiernden Menschen in die Luft. Ein Kind soll den Anschlag nach ersten Erkenntnissen durchgeführt haben. Dass Minderjährige als Waffe eingesetzt werden, kannte man bisher aus dem Irak und Syrien - nicht jedoch aus der Türkei.

Manche türkische Medien berichten, dass es eine Henna-Nacht war, die Nacht vor der eigentlichen Hochzeit, zu der sich vor allem Frauen versammeln. Tatsächlich waren nach ersten Berichten unter den mehr als 50 Toten viele Frauen und Kinder. Das Brautpaar wurde verletzt.

Steckt die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hinter dem Anschlag auf die Hochzeitsgesellschaft? Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sagt, erste Erkenntnisse deuteten darauf hin. Die Türkei wird immer wieder von verheerenden Angriffen erschüttert. Teils werden sie von der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK verübt, mit der sich die Regierung im Südosten der Türkei blutige Auseinandersetzungen liefert, teils macht die Regierung den IS für zahlreiche Attentate im Land verantwortlich. Der IS hat sich bis jetzt jedoch nicht zu einem einzigen Anschlag in der Türkei bekannt.

Für eine Urheberschaft der Terrormiliz spricht, dass es der IS auch in der Vergangenheit auf Kurden und ihnen nahestehende Gruppen abgesehen hatte. Im Juni 2015 verübte mutmaßlich der IS kurz vor der Parlamentswahl einen Bombenanschlag auf eine Wahlveranstaltung der pro-kurdischen HDP. Im Juli sprengte sich dann ein Selbstmordattentäter in der Grenzstadt Suruc inmitten von linken Aktivisten in die Luft. Die Jugendlichen wollten beim Aufbau der türkisch-syrischen Stadt Kobane helfen.

Die Lage von Gaziantep, nicht fern der syrischen Grenze, legt auch die Vermutung nahe, dass die Konflikte dort immer weiter auf die Türkei übergreifen. Sowohl die kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG), der syrische Ableger der PKK, als auch der IS kontrollieren dort große Gebiete. Allerdings musste der IS in den letzten Wochen Gebietsverluste hinnehmen. Die kurdischen Milizen rückten, unterstützt durch die USA, in den Westen vor und eroberten die Stadt Manbidsch vom IS zurück. Deren Kämpfer zogen sich daraufhin Berichten zufolge tweilweise an die Grenze zur Türkei zurück.

Nach dem Putschversuch vom 15. Juli war die Türkei zunächst von weiteren Anschlägen verschont geblieben. Doch die Terrorgefahr bleibt allgegenwärtig. Vor drei Tagen gab es einen Autobombenanschlag in der osttürkischen Provinz Van. Zwar galt der Angriff Einrichtungen der Polizei, unter den vier Toten und mehr als 70 Verletzten waren aber auch Gäste eine Hochzeitsfeier, die sich auf dem Heimweg befanden.

Videoaufnahmen der Feier zeigten fröhlich tanzende Menschen in einem Saal, dessen Fenster plötzlich schlagartig auf ganzer Breite von der grellen Explosion draußen erhellt und dann eingedrückt wurden. Splitter flogen und ließen selbst noch auf diese Entfernung die Wucht der ferngezündeten Autobombe auf der Straße erahnen.

Erdogan, der hinter dem Anschlag von Gaziantep den IS vermutet, machte am Sonntag im selben Atemzug klar, dass er den Kampf gegen den Terrorismus an drei Fronten sieht: Er macht keinen Unterschied zwischen PKK, IS oder den Anhängern des Predigers Fethullah Gülen, der hinter dem Putschversuch stecken soll.

Für Erdogan, dessen Agieren nach dem niedergeschlagenen Putsch in Berlin und Brüssel argwöhnisch verfolgt wird, bietet die Terrorwelle im Land Gelegenheit, die Türken auf den Kurs seiner Regierung einzuschwören. Nicht von ungefähr verwies er darauf, dass der Anschlag von Gaziantep einer Stadt gegolten habe, in der "Turkmenen, Araber, Kurden friedlich mit allen anderen Volksgruppen zusammenleben".

Im Kampf gegen den Terror, woher auch immer, beschwört er die türkische "Einheit, Zusammengehörigkeit und Brüderlichkeit". Seine Botschaft an diejenigen, die das Land mit Terror überziehen: "Ihr werdet keinen Erfolg haben."

Der Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der Mitte-Links-Partei CHP, sagt, seine Partei sei zu jeder Unterstützung bereit. "Bitte bereitet diesem Terror ein Ende", appelliert er an die Adresse der Regierung. Was die regierungskritische Zeitung "Birgün" als "Blankoscheck" kritisierte.

(felt/dpa)
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