Nach dem Atomdeal Gabriel und die Freiheit im Iran

Teheran · Der Vizekanzler besucht ein widersprüchliches Land. Gemäßigte und Radikale streiten um den Kurs der Islamischen Republik.

 Zwischen Mode und Religion: Junge, bunt verschleierte Iranerinnen feiern das Ergebnis der Atom-Verhandlungen mit Bildern von Präsident Hassan Rohani (l.) und Außenminister Mohammad Dschawad Sarif.

Zwischen Mode und Religion: Junge, bunt verschleierte Iranerinnen feiern das Ergebnis der Atom-Verhandlungen mit Bildern von Präsident Hassan Rohani (l.) und Außenminister Mohammad Dschawad Sarif.

Foto: Abedin Taherkenareh

Während Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel bei der iranischen Handelskammer spricht, wacht der oberste Entscheider, Revolutionsführer Ali Chamenei, über ihm. Die Porträts des religiösen Führers hängen überall in den öffentlichen Gebäuden, meistens so weit oben wie möglich. Sie erinnern daran, dass im Iran der Islam Gesetze und Alltag bestimmt.

Für die Menschen bringt das strenge Verhaltensregeln mit sich, insbesondere für Frauen. Das Tragen eines Kopftuchs ist Pflicht, dazu soll es ein Mantel oder mindestens eine Tunika sein, die bis zum Knie reicht und die Arme ganz bedeckt. An den Füßen gehören geschlossene Schuhe und blickdichte Strümpfe zum Kodex. Bei Temperaturen bis 40 Grad ist das für Mitteleuropäer gewöhnungsbedürftig; ein Kopftuch ist für deutsche Christinnen ohnehin ein Fremdkörper. Wie in islamischen Ländern üblich, halten Männer und Frauen öffentlich Distanz - man gibt sich nicht die Hand.

An viele der strengen Regeln halten sich die Iraner nicht

Im Alltag allerdings werden die Regeln oft nicht so streng interpretiert. In Teheran rutschen die Schleier nach hinten und die Säume der Mäntel nach oben. An viele Regeln halten sich die Iraner einfach nicht. In einem solchen Schwebezustand liegt immer auch die Gefahr, dass die vorsichtige Liberalisierung von heute auf morgen abbricht. Es gibt keine Rechtssicherheit für die kleinen Freiheiten der Frauen.

Sigmar Gabriel lässt sich mit einer Wagenkolonne durch den dichten Teheraner Verkehr bringen. An nur einem Tag trifft er Staatspräsident, Parlamentspräsident und vier Minister, darunter Außenminister Mohammad Dschawad Sarif, der die Verhandlungen über das Atomabkommen geführt hatte. Sarif versichert danach, der Iran sei ein verlässlicher Partner. Gabriels Botschaft klingt ähnlich: Sein Besuch soll zeigen, dass sich das Atom-Abkommen für den Iran lohnt. Im Gegenzug setzt er darauf, dass die wirtschaftliche Öffnung auch die junge Gesellschaft beeinflusst.

 Unsere Berliner Büroleiterin Eva Quadbeck begleitet Sigmar Gabriel in den Iran. Von Frauen wird Verschleierung erwartet.

Unsere Berliner Büroleiterin Eva Quadbeck begleitet Sigmar Gabriel in den Iran. Von Frauen wird Verschleierung erwartet.

Foto: Michael Kappeler

Im Iran bestimmen widerstreitende Kräfte die Regeln, politische wie religiöse. So weigerte sich das konservative Parlament, nach der Wahl Frauen in Regierungsämtern zu bestätigen. Der gemäßigt konservative Staatspräsident Hassan Rohani griff zu einem Trick: Er ernannte gleich drei Vizepräsidentinnen. Die führen nun faktisch die Ministerien ohne Bestätigung durch das Parlament.

Gabriel geht bis an die Grenze des Höflichen

Wirtschaftsminister Gabriel ist nicht nur gekommen, um den Unternehmen die Türen zu öffnen. Für den Vizekanzler gehören Freiheit der Wirtschaft und der Gesellschaft zusammen. Beim Treffen mit der iranischen Öl- und Handelskammer geht er über die diplomatischen Gepflogenheiten hinaus bis an die Grenze des Höflichen, um das deutlich zu machen: Er verweist auf die "schwierigen Themen", die Freunde miteinander besprechen können müssten. Es gebe mit dem Iran Unterschiede bei den Menschenrechten, der Stellung der Frau, dem Umgang mit Minderheiten und der Bekämpfung der Korruption.

 Vizekanzler Sigmar Gabriel trifft Staatspräsident Hassan Rohani.

Vizekanzler Sigmar Gabriel trifft Staatspräsident Hassan Rohani.

Foto: Presidential Official Website Ha

"Israel" sagt er mindestens genauso häufig wie "Investitionen". "Gute Beziehungen zu Deutschland bedeuten immer, dass wir die Sicherheit des Staates Israel nicht infrage stellen können", betont Gabriel. Das iranische Außenministerium weist die Äußerung umgehend zurück. Gabriel nimmt das in Kauf.

Auch den Wirtschaftsvertretern ist das zu viel. So viel Politik müsse nicht sein, sagt einer. Lieber hören sie Sätze wie den von Eric Schweitzer, dem Chef des Industrie- und Handelskammertags: "Wir haben viele Marktanteile verloren. Wenn die Sanktionen beendet sind, haben wir viel zu bieten." Entsprechend positiv wird von der deutschen wie von der iranischen Wirtschaft Gabriels Vorschlag aufgenommen, die deutsch-iranische Wirtschaftskommission wiederzubeleben, die zuletzt 2001 in Berlin tagte.

Gabriel hinterlässt auch die Zusage, mit den deutschen Banken zu sprechen. Die hatten sich wegen der Sanktionen im Atomstreit komplett aus dem Iran zurückgezogen. Und ihr Vertrauen, dass die Strafmaßnahmen dauerhaft abgeschafft werden, ist noch nicht zurückgekehrt.

(qua)
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