Tod einer Zeitungslegende Ben Bradlee — seit Watergate auf der Suche nach der Wahrheit

Washington · Ben Bradlee, ein Lebemann mit eisernem Rückgrat, hat die einst so schläfrige "Washington Post" in die erste Liga geführt – und geholfen, den Watergate-Skandal aufzudecken.

Ben Bradlee: Bilder aus einem bewegten Leben
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Bilder aus dem Leben von Ben Bradlee

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Ben Bradlee, ein Lebemann mit eisernem Rückgrat, hat die einst so schläfrige "Washington Post" in die erste Liga geführt — und geholfen, den Watergate-Skandal aufzudecken.

Die wichtigste Lehre aus Watergate, hat Ben Bradlee einmal gesagt, sei die Verbindung journalistischer Standfestigkeit mit journalistischem Instinkt gewesen. "Dass wir uns eingebuddelt haben im Graben und dabei auf das richtige Pferd gesetzt haben, ich denke, das war eine wunderbare Lektion."

Nachdem am 17. Juni 1972 eingebrochen worden war in der Wahlkampfzentrale der Demokratischen Partei, angesiedelt im Häuserlabyrinth des Watergate-Komplexes, begannen Carl Bernstein und Bob Woodward, zwei junge Lokalreporter der "Washington Post", der Sache auf den Grund zu gehen. Was anfangs nach einem x-beliebigen Wohnungsdiebstahl aussah, entpuppte sich bald als Skandal ersten Ranges, der 1974 mit dem Rücktritt Richard Nixons enden sollte.

Als das Weiße Haus Druck machte, als Nixons Berater die Redaktion einzuschüchtern versuchten, war es Bradlee, der unbeeindruckt Rückgrat bewies. "Gebt nicht auf! Bleibt dran an der Story!", wird Woodward seinen Chefredakteur später zitieren. Der Mann habe den Mut einer ganzen Armee gehabt.

Bradlee, im Alter von 93 Jahren verstorben, war eine Legende, wie es nur wenige gab und gibt in der amerikanischen Presselandschaft. Ein Original, kantig und lebenslustig, ein Charmeur, der zugleich fluchen konnte wie ein Bierkutscher: Das alles hinterlässt einen schier unerschöpflichen Anekdotenschatz. In seinem Büro zielte er mit Schaumstoffbasketbällen nach einem Korb, sobald ihn eine Besprechung langweilte.

Als er 1965 vom Magazin "Newsweek” zur "Washington Post” wechselte, war die Hauptstadtpostille ein schläfriges, eher belangloses Blatt. Bradlee schaffte es, sie in die erste Liga zu führen, indem er auf eine Mischung aus harter Recherche und den bisweilen fast literarischen Reportagen des New Journalism setzte. Dass er befreundet war mit der Verlegerfamilie der Grahams, der er Millioneninvestitionen schmackhaft zu machen verstand, hat dabei nicht unwesentlich geholfen. Seinen ersten Coup landete er 1971, als die "Post" neben der "New York Times" die Pentagon Papers druckte, eine ungeschminkte, geheime Analyse des amerikanischen Dilemmas im Vietnamkrieg. Gegen Blamagen war freilich auch der Branchen-Superman nicht gefeit. 1981 gewann seine Zeitung für eine bewegende Geschichte über das Leben eines heroinsüchtigen Achtjährigen den Pulitzerpreis — für eine Story, die frei erfunden war.

Die Bostoner Patrizierfamilie, in die Benjamin Crowninshield Bradlee hineingeboren wurde, führte ihren Stammbaum bis auf die Kolonisten der 1630er Jahre zurück: In den USA zählt man mit so einer Biografie zum inoffiziellen Adel, auch wenn die amerikanische Republik Adelsgeschlechter nicht kennt. John F. Kennedy zählte zu seinen guten Bekannten, überhaupt war er bestens vernetzt in den Spitzenetagen der Politik. Das "Leben auf der Leiter des Ruhms" habe er durchaus genossen, bekannte Bradlee in seinen Memoiren. Doch die zentrale Erkenntnis, die er aus der Watergate-Affäre gewann, handelt eher vom Konflikt mit der Macht. Egal, wie viele Spindoktoren ihm etwas einreden wollten, notierte er in seinen Erinnerungen, "seit Watergate habe ich angefangen, die Wahrheit zu suchen, nachdem ich die offizielle Version dessen, was wahr sein sollte, gehört hatte".

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