Investitionen Berlin und Paris - einig in der Uneinigkeit

Berlin · Deutschland solle seine Investitionen in drei Jahren um 50 Milliarden Euro steigern, fordern Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister. Doch kaum sitzen sie in Berlin im Büro von Wolfgang Schäuble, rudern sie lieber zurück.

 Die Regierung Hollande muss sich im Inland gegen scharfe Kritik an ihrer Sparpolitik behaupten.

Die Regierung Hollande muss sich im Inland gegen scharfe Kritik an ihrer Sparpolitik behaupten.

Foto: dpa, yv sh

Seine französischen Gäste werden das Büro von Wolfgang Schäuble (CDU) als typisch deutsch empfinden. Weil es so schmucklos ist. Von stilvollem Ambiente ist bei Schäuble keine Spur. Der Bundesfinanzminister verbringt die meiste Zeit seines Lebens in einem rechteckigen, etwa 30 Quadratmeter großen Raum im Ministerium an der Leipziger Straße in Berlin, dem von den Nazis erbauten früheren Reichsluftfahrtministerium. Am Kopfende steht ein Schreibtisch, der meistens leer ist, weil Schäuble es nicht mag, wenn sich dort Akten und Zettel stapeln. An den Wänden hängt fast nichts, ansonsten gibt es noch einen grauen Konferenztisch.

An genau diesem Tisch empfängt Schäuble an diesem Montag seinen französischen Amtskollegen Michel Sapin, einen altgedienten Sozialisten, der Anfang des Jahres aus dem Pariser Arbeits- ins Finanzministerium gewechselt ist. Neben ihm sitzt Emmanuel Macron, der 36-jährige neue Wirtschaftsminister. Macron ist einer dieser jungen Elite-Franzosen, die alle ein bisschen aussehen wie Alain Delon. Auf ihm ruhen viele Hoffnungen, nicht nur in Paris. Er hat zum Beispiel maßgeblich an dem Reformpapier geschrieben, das Präsident François Hollande in den kommenden Monaten gegen den Widerstand der meisten Franzosen umsetzen will. Außerdem sitzt auch Sigmar Gabriel (SPD) an diesem Tag in Schäubles Büro.

Die Franzosen hatten ihren Besuch vorher so öffentlichkeitswirksam wie möglich vorbereitet: Via "Frankfurter Allgemeine Zeitung" forderten sie Berlin auf, seine Investitionen innerhalb von drei Jahren um 50 Milliarden Euro zu steigern. Deutschland habe den finanziellen Spielraum dafür, den Frankreich nicht habe. Paris müsse sparen, aber Deutschland nicht. Es sei daher an Berlin, mehr für Wachstum und Konjunktur in Europa zu tun.

Vor allem für Schäuble ist das ein Affront. Normalerweise halten sich Politiker anderer Länder mit derlei konkreten Ratschlägen zurück. Außerdem zeigten die Franzosen wieder, was sie von der im Ausland als "Austeritätspolitik" gescholtenen deutschen Finanzpolitik halten: nichts. Lahmt die Konjunktur, so die französische Denkschule, muss der Staat zusätzliches Geld für Investitionen in die Hand nehmen; die Ausweitung des Defizits sei hinzunehmen. Diese Argumentation hilft freilich auch, das eigene Unvermögen zu verschleiern. Denn Paris möchte die Regeln des EU-Stabilitätspakts dehnen und sein Defizit langsamer als vereinbart abbauen.

Schäuble sieht das bekanntermaßen anders. Eineinhalb Stunden diskutieren die vier Herren an seinem Tisch, bei ihnen nur die Dolmetscher. Gabriel hat Papiere mitgebracht, in denen aufgelistet ist, was die Koalition ohnehin schon an Investitionen plant. Schäuble verweist auf ein weiteres Papier, das er zusammen mit Michel Sapin schon im September präsentiert hatte. Darin ging es um mehr Investitionen durch Verbriefungen und Wagniskapital in Europa.

Die vier vereinbaren noch ein weiteres gemeinsames Investitionspapier, das sie bis 1. Dezember vorlegen wollen. Darin werden sie vor allem die EU-Kommission zum Handeln auffordern. Und Macron und Sapin versichern, dass der Euro-Stabilitätspakt natürlich auch für Frankreich gelte, dass er aber flexibel genug sei, um auf Konjunkturkrisen zu reagieren und Paris etwas mehr Zeit für den Defizitabbau zu geben. Schäuble wird hinterher nur einsilbig darauf hinweisen, dass die Bewertung der französischen Haushaltspläne nicht Sache Berlins sei, sondern der EU-Kommission. Die werde bald entscheiden müssen, ob Frankreich damit durchkommt, die Regeln des Paktes derart zu dehnen.

Alle vier Herren kaschieren ihre große Uneinigkeit über den richtigen Weg Europas aus der Konjunkturschwäche mit vielen Plattitüden. Und Sapin und Macron wiederholen ihre Forderung nach den 50 Milliarden nicht öffentlich. Im Gegenteil, sie rudern sogar zurück.

Gabriel bietet ihnen allen zusammen am Ende einen eleganten Ausweg: Die 50 Milliarden entsprächen ja genau der Investitionslücke, die auch die Pariser Industrieländer-Organisation OECD für Deutschland errechnet habe. Diese Summe sei also gar nichts Neues. Die Bundesregierung arbeite längst daran, die Lücke vor allem durch mehr private Investitionen zu schließen.

(mar)
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