Bilanz einer achtjährigen Präsidentschaft Was von No-drama-Obama bleibt

Unser Korrespondent in Washington zieht Bilanz über acht Jahre einer außergewöhnlichen US-Präsidentschaft.

Abschiedrede: Barack Obama ruft das Land zur Solidarität auf
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Abschiedsrede: Obama ruft zum Kampf um die Demokratie

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Es riecht nach Salz vom Meer, schattige Wege unter ausladenden Bäumen führen zu weiß getünchten Gebäuden. Dekorative Palmen dürfen nicht fehlen, der Blick geht auf grüne Hügel, die das nahe Manoa Valley säumen. Es dürfte nicht viele Schulen geben, die es mit dem Postkartenidyll der Punahou School aufnehmen könnten. Der prestigeträchtigsten Privatschule Hawaiis, deren Name so viel bedeutet wie "neuer Frühling". Ein Paradies. Barack Obama hat einst hier gelernt.

Vielleicht muss man wirklich nach Honolulu fliegen, um Obama zu verstehen. Um zu begreifen, warum er als Präsident so unaufgeregt wirkte, das Kontrastprogramm zu seinem Nachfolger Donald Trump, dem polternden Milliardär und Wutbürger. Dass er so gelassen sei, hat er dieser Tage dem Magazin "National Geographic" erklärt, habe auch mit dem Ort seiner Geburt zu tun. Nun, er stamme aus Hawaii, wo man jederzeit in den Ozean springen könne und das Leben in ziemlich harmonischen Bahnen verlaufe. Die Stadt Honolulu liegt mitten im Pazifik, Tokio ist näher als New York. Wer aus Hawaii kommend eine Karriere im Festlandsamerika anstrebt, muss sich dort wohl für lange Zeit wie ein Exot fühlen.

Denn gelassen ist nichts am amerikanischen Diskurs. So gesehen wirkt "No-drama-Obama", wie seine Berater ihn nennen, als fremdele er mit dem Politikbetrieb Washingtons. Als wäre er ein neugieriger Beobachter, der von außen auf sein Land schaut und sich manchmal nur wundern kann. Der Satz, mit dem er 2004 auf dem Parteitag der Demokraten in Boston auf der Bühne der Politik erschien, ist zwar unendlich oft zitiert worden, doch beim Versuch, eine Bilanz der Obama-Jahre zu ziehen, führt kein Weg an ihm vorbei. "Ein liberales Amerika und ein konservatives Amerika gibt es nicht, es gibt die Vereinigten Staaten von Amerika. Ein schwarzes Amerika und ein weißes Amerikas, ein Amerika der Latinos und ein asiatisches Amerika gibt es nicht, es gibt die Vereinigten Staaten von Amerika." Es war sein Credo, nichts daran war gekünstelt. Jemand, der mitten im Pazifik aufwuchs, mag sie tatsächlich als grotesk empfinden, die politische Spaltung in Washington, die Schluchten zwischen Demokraten und Republikanern, die von Wahl zu Wahl tiefer werden.

Als Obama im Februar vor zehn Jahren an den Start des Kandidatenrennens ging, hatte ich gerade angefangen als USA-Korrespondent. Klirrende Kälte in Springfield, Illinois. Auf den Stufen des Old State Capitol sprach der aufstrebende Senator von Abraham Lincoln, der 1858 an gleicher Stelle mit Worten für die Geschichtsbücher die Sklaverei verdammt hatte. "Wo Lincoln ein geteiltes Haus aufrief zusammenzustehen, stehe ich heute vor euch und gebe meine Kandidatur für die Präsidentschaft bekannt", sagte Obama. Mit brillanten Reden weckte er die Erwartung, mit ihm würde ein zweiter Lincoln im Weißen Haus einziehen, zumindest ein zweiter John F. Kennedy. Oder eine Art Ronald Reagan der Linken, der die Gesellschaft umkrempeln würde, wie Reagan es in den 80er Jahren getan hatte. Nur eben in die andere Richtung. Wähler, die im November 2008 noch geglaubt hatten, sie delegierten einen kühnen Reformer in die Machtzentrale, sahen sich bald eines Besseren belehrt. So inspirierend Obama am Rednerpult wirkte - im Regierungsalltag entpuppte er sich als Pragmatiker der kleinen Schritte. Überaus gründlich abwägend, handelte er in aller Regel mit der Vorsicht des Rechtsgelehrten, der er mit dem Studium in Harvard geworden war.

Warum trat Obama nicht vehementer für seine Agenda ein?

Obama überließ es Bankern der Wall Street, nach der Finanzkrise neue Regeln für die Wall-Street-Banken aufzustellen. Das Gefangenenlager Guantánamo, das er binnen eines Jahres zu schließen versprach, wurde auch deshalb nicht geschlossen, weil der Präsident nur halbherzig dafür kämpfte. Die Gesundheitsreform, die er 2010 im Kongress durchsetzte, entsprang einem Kompromiss mit den Versicherungskonzernen, und am Ende stellte sie keinen zufrieden. Warum er nicht entschlossener eintrat für seine Agenda? Man dürfe den kulturellen Kontext nicht vergessen, gibt Nell Painter zu bedenken, Professorin in Princeton, eine der führenden Historikerinnen der USA. Die weißen Mittelschichten seien ihm, dem schwarzen Mann im Weißen Haus, mit latentem Misstrauen begegnet. Vielleicht habe er sich deshalb nicht getraut, manches von dem in Angriff zu nehmen, was er im Wahlkampf angekündigt hatte.

Und doch: Ohne Obamacare, die Gesundheitsreform, mit deren Abschaffung das Repräsentantenhaus am Freitag begann, wären noch 20 Millionen Amerikaner, die mittlerweile krankenversichert sind, ohne jeglichen Schutz. Ohne das Konjunkturpaket von 2009 hätte sich womöglich die Große Depression der 30er Jahre wiederholt. Ohne die liberale Haltung des "Regenbogenpräsidenten" hätte es womöglich länger gedauert, bis der Oberste Gerichtshof die gleichgeschlechtliche Ehe legalisierte.

Iran-Abkommen - sein größter Erfolg?

In Syrien zog Obama eine rote Linie, die ohne Konsequenzen blieb, als Chemiewaffen eingesetzt wurden. Militärisch einzugreifen kam für ihn nicht infrage, nicht nach den Erfahrungen des Krieges im Irak. Dass er 2011 in Libyen intervenierte, um den Autokraten Muammar al Gaddafi zu stürzen, bezeichnete er im Nachhinein als schweren Fehler. Die Normalisierung mit Kuba war überfällig. Wirklich gekämpft hat er für das Atomabkommen mit dem Iran, seinen vielleicht größten Erfolg, errungen gegen härtesten Widerstand.

Alles in allem ist es eine gemischte Bilanz. Als ihm klar war, dass ihm die Republikaner mit ihrer Mehrheit im Parlament innenpolitisch keine großen Sprünge mehr gestatteten, prägte er die Metapher vom Staffelläufer. Man übernehme den Stab und reiche ihn nach vier oder acht Jahren weiter. Es sei ein langes Rennen, man könne schon zufrieden sein, wenn man das Land in besserem Zustand übergebe, als man es übernommen habe.

Sein größter Frust? Das Scheitern beim Durchsetzen schärferer Waffengesetze

Dann wäre da noch die Stilikone Barack Obama. Mit welcher Leichtigkeit er durch den politischen Alltag spazierte, die Worte so elegant wie sein Auftreten, beeindruckte selbst seine Gegner. Cool bis in die Haarspitzen. Nur einmal sah man, wie die Emotionen ihn übermannten. Nach dem Amoklauf eines geistig Verwirrten an der Sandy-Hook-Grundschule 2012 in Newtown war ihm anzumerken, wie sehr ihn die Tragödie schockierte. Gegen Tränen ankämpfend, sprach er von den toten Kindern, von Erstklässlern, die ihr gesamtes Leben noch vor sich hatten, "Geburtstage, Abschlussfeiern, Hochzeiten, eigene Kinder". Dass er scheiterte bei dem Versuch, die Waffengesetze zu verschärfen, ist nach Obamas Worten der Punkt, der ihn nach acht Jahren im Amt am meisten frustriert.

(fh)
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