Russischer Oppositionspolitiker Putin-Kritiker Nemzow mitten in Moskau erschossen

Moskau · Der russische Oppositionspolitiker und frühere Vizeregierungschef Boris Nemzow ist am Freitagabend in Moskau in der Nähe des Kremls erschossen worden. Das teilte die oberste russische Ermittlungsbehörde am Freitagabend mit. Der 55 Jahre alte Nemzow galt als eine der schillerndsten Persönlichkeiten der russischen Opposition. Der charismatische Politiker war einer der schärfsten Kritiker von Kremlchef Wladimir Putin.

 Boris Nemzow wurde in der Nähe des Kremls von vier Schüssen niedergestreckt.

Boris Nemzow wurde in der Nähe des Kremls von vier Schüssen niedergestreckt.

Foto: dpa, of jak nic

Der russische Präsident wurde umgehend über die Bluttat im Herzen Moskaus informiert, wie sein Sprecher Dmitri Peskow mitteilte. Putin habe Sonderermittler mit der Aufklärung des Verbrechens beauftragt.

Ermittler gingen von einem Auftragsmord aus. Möglicherweise traf der unbekannte Täter Nemzow in den Rücken nachts auf der Straße. Nemzow sei von vier Kugeln in den Rücken getroffen worden, hieß es. Der Regierungsgegner soll in Begleitung einer Bekannten aus der Ukraine unterwegs gewesen sein. Der Politiker galt als glühender Unterstützer der proeuropäischen ukrainischen Führung in Kiew.

Die Lage in Russland ist im Zuge der Ukraine-Krise gespannt. Nemzow hatte den Krieg in dem Nachbarland scharf kritisiert - als russische Aggression. In einem eindringlichen Appell hatte er den Einsatz von russischen Soldaten in der Ostukraine - ohne Erkennungszeichen an den Uniformen - als "illegal" kritisiert. Der Oppositionspolitiker beschimpfte Putin als "Lügner".

Regierungskritische Medien hatten im vorigen Jahr von breit angelegter Vertuschung in Russland berichtet: Wer als russischer Soldat im Ukraine-Konflikt in Gefangenschaft gerate, werde rückwirkend aus den Streitkräften entlassen. Bei Todesfällen würden Sterbeurkunden manipuliert und Krankheiten als Ursache genannt. Der Kreml hatte dies zurückgewiesen.

Die Opposition will an diesem Sonntag ihre erste große Demonstration dieses Jahres gegen die Politik von Putin organisieren. Die Agentur Interfax berichtete unter Berufung auf Ermittler, der Mord an Nemzow könne eine gezielte Provokation sein vor der Aktion der Regierungskritiker.

"Ich kann es nicht glauben. Was ist aus Russland geworden? Die Aggression wächst", sagte der frühere Regierungschef Michail Kasjanow im kremlkritischen Radiosender Echo Moskwy. Kasjanow sprach von einer "Tragödie". Viele Wegbegleiter von Nemzow sprachen mit zitternder Stimme von einem großen Verlust für liberal denkende Menschen im größten Land der Erde.

Der Oppositionspolitiker Wladimir Ryschkow warnte vor einem "wachsenden Hass auf Andersdenkende" in der Gesellschaft. "Ich bin schockiert", sagte er. Kein Oppositioneller könne sich heute sicher fühlen in dem Land, betont er. Auch Journalisten seien in Gefahr. In Russland kommt es immer wieder zu Anschlägen auf Kritiker der Kremlpolitik.

Die große Mehrheit der Russen unterstützt nach Umfragen den Kurs von Präsident Putin. Nemzow hingegen kritisierte die Politik als zerstörerisch für das Land. Der Politiker war ein prominenter Befürworter der prowestlichen Proteste in der Ukraine im vergangenen Jahr auf dem Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew. Er hatte die Hoffnung geäußert, dass der Funken der Revolution überspringt auf Russland. Als Gegengewicht hatten Putin-Anhänger zuletzt die Bewegung "Anti-Maidan" gegründet.

(dpa)
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