Ehemaliger Regierungschef Borissow-Partei bei Parlamentswahl in Bulgarien vorn

Sofia · Bei der Parlamentswahl in Bulgarien hat sich ein Sieg der Partei Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens (Gerb) des ehemaligen konservativen Regierungschefs Boiko Borissow abgezeichnet. Laut Prognosen lag die Gerb-Partei mit rund 33 Prozent der Stimmen am Sonntagabend klar vorn, war allerdings von der absoluten Mehrheit weit entfernt. Es wurde eine schwierige Regierungsbildung erwartet.

Gerb kam den Prognosen zufolge auf 83 bis 91 Sitze im Parlament in Sofia; die absolute Mehrheit liegt bei 121 Sitzen. Dahinter folgten die Sozialisten mit bis zu 16,5 Prozent der Stimmen (bis zu 48 Sitze). Die liberale Partei Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS), die sich als Interessenvertretung der türkischen Minderheit und der Roma begreift, kam auf rund 14 Prozent (bis zu 38 Sitze). Fünf weitere Parteien, darunter auch die Rechtsaußenpartei Ataka, konnten damit rechnen, die Vier-Prozent-Sperrklausel zu überwinden und damit Abgeordnete ins Parlament zu schicken.

"Ich will regieren", sagte Borissow am Abend. Er sei "bereit, alles Notwendige zu tun", um das "schwarze Szenario" einer Sackgasse für sein Land zu vermeiden. Die Alternative zu einer Koalitionsregierung wären Neuwahlen, was jedoch einem "Scheitern" Bulgariens gleichkäme, sagte der Ex-Regierungschef. Die anderen Parteien rief Borissow zu einer "Lösung durch Beratungen" auf. Es war bereits die zweite Parlamentswahl in dem EU-Land in anderthalb Jahren.

Borissow hatte die im sogenannten Reformblock zusammengeschlossenen konservativen Kräfte vor der Wahl als "unsere einzigen möglichen Verbündeten" bezeichnet. Allerdings sei der Reformblock seit einem Monat damit beschäftigt, die Gerb-Partei zu kritisieren. Es bestehen allerdings Zweifel, dass sie einer Wahl Borissows zum Ministerpräsidenten zustimmen werden.

Die sich anbahnende Zersplitterung des Parlaments durch den Einzug von mehreren Klein-Parteien dürfte die Bildung einer stabilen Regierung zusätzlich erschweren. Der Experte Parwan Simeonow vom Gallup-Institut äußerte die Erwartung, die künftige Regierung werde nicht länger halten als bis zur Präsidentschaftswahl im Oktober 2016.

Der 55-jährige Borissow hatte seine erste dreieinhalbjährige Amtszeit von 2009 bis 2013 an der Spitze einer Minderheitsregierung bestritten. Dabei stützte er sich mal auf die traditionelle Rechte, mal auf Ultranationalisten, mal auf Unabhängige.

Im Februar 2013 trat Borissow unter dem Druck anhaltender Massenproteste gegen die grassierende Armut und Korruption in Bulgarien zurück. Die auf ihn folgende Minderheitsregierung von Sozialisten und Liberalen unter dem parteilosen Finanzexperten Plamen Orescharski stand zuletzt in der Bevölkerung massiv in der Kritik. Ihr wurden unter anderem enge Beziehungen zu Oligarchen vorgeworfen. Ende Juli dieses Jahres warf Orescharski das Handtuch, der Weg war frei für vorgezogene Neuwahlen.

Wenige Tage vor der Wahl leitete die Justiz mehr als 50 Verfahren wegen Stimmenkaufs ein. Eine vor der Wahl veröffentlichte Studie schätzte, dass fast 500.000 Wähler ihre Stimmen gegen Geld, Lebensmittel oder Feuerholz verkaufen würden.

(AFP)
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