Karadzic wohnte inkognito in Belgrad Das bizarre Doppelleben des Schlächters

Belgrad/Düsseldorf (RPO). Aus dem Untergrund-Leben von Radovan Karadzic geraten immer mehr neue, skurrile Details an das Tageslicht. Der mutmaßliche Kriegsverbrecher hatte sich eine Legende als alternativer Heiler und Wunderarzt gestrickt, half bei Erektionsstörungen und hielt Vorträge. Daneben sang er in einer Kneipe namens "Irrenhaus" und war als Hobby-Journalist aktiv.

Das ist Radovan Karadzic
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Dr. Dragan Dabic alias Karadzic versteckte sich nicht in Höhlen oder abgelegenen Klöstern. Der ehemalige Anführer der bosnischen Serben hatte sich in einem Stadtteil von Belgrad eine neue Existenz aufgebaut - mit freundlicher Unterstützung von Serbiens Ex-Ministerpräsident Vojislav Kostunica und dem Geheimdienst.

Der studierte Psychiarter ging in seiner neuen Heimat einer geregelten Arbeit nach. In einer Privatpraxis verdingte Karadzic sich als Experte für Bioenergie und Alternativmedizin. So half er bei Erektionsstörungen, sexuellen und psychischen Problemen, Asthma und Multiple Sklerose. Manche Patienten sollen nur durch Handauflegen geheilt worden sein. Darüber hinaus hielt Karadzic Fachvorträge, trat im Fernsehen auf und schrieb für das Gesundheitsmagazin "Gesundes Leben" - wobei er sogar auf sein Honorar verzichtet haben soll. Weitere Einnahmen generierte der findige Geschäftsmann durch den Verkauf von Magneten gegen Schmerzen.

Karadzic soll in einer Zweizimmer-Wohnung in dem Belgrader Stadtteil Neu-Belgrad, einer Hochburg der Nationalisten, gewohnt haben. 350 Miete wurden fällig, für serbische Verhältnisse eine stattliche Summe. Zerstreuung fand Karadzic direkt um die Ecke. Er sei öfter in einem Lokal namens "Irrenhaus" gesehen worden, hieß es in örtlichen Zeitungen. Er habe dort manchmal auf einer Gusle, einem südslawischen Streichinstrument, gespielt und sogar schwermütige Lieder gesungen. Warum er gerade dieses Lokal so liebte, liege an Karadzics Sinn für Ironie: So habe er, sagte der Besitzer, immer am selben Tisch gesessen, um auf zwei große Poster an der Wand blicken zu können — auf sein eigenes Foto und das seines ehemaligen Militärchefs Mladic.

Inkognito dank Bart und Haarpracht

Zu erkennen war er schließlich nicht: Mit dem dichten Bart und den langen Haaren - stehts zu einem Zopf oder Knoten verarbeitet - konnte Karadzic inkognito leben. Die serbischen Medien zeichneten das Bild eines "liebenswerten Gurus", der selbstbewusst wirkte, aber wenig über sein Privatleben sprach. Dieses führte er aber nicht allein: Der 63-Jährige soll eine Geliebte namens Mila gehabt haben, während seine kranke Frau im heimischen Pale auf seine gelegentlichen Besuche wartete.

Am Mittwoch hatte Karadzic nach Angaben seines Anwalts bereits seine Maskierung wieder abgelegt. "Er sieht gut aus, er hat sich die Haare geschnitten, den Bart rasiert und ist in ausgezeichneter Verfassung", sagte Svetozar Vujacic. Karadzic habe sein Erscheinungsbild von vor 13 Jahren wieder hergestellt und sei voller Energie. "Er hatte es eilig, seinen Kampf aufzunehmen und hofft, dass Wahrheit und Gerechtigkeit obsiegen."

Selbstverteidigung in Den Haag?

Vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag will sich Karadzic selbst verteidigen. Das kündigte sein Vujacic an, wie die Nachrichtenagentur Tanjug am Mittwoch meldete. Damit folgt Karadzic dem Beispiel des in Haft verstorbenen jugoslawischen Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic, dessen Vertrauter er war. Die Überstellung seines Mandanten nach Den Haag will Vujacic jedoch so lange wie möglich hinauszögern.

Karadzic verfüge in Serbien über ein Team von Juristen, die ihn unterstützten, sagte Vujacic weiter. Vor dem Gericht in Den Haag werde sich Karadzic jedoch allein verteidigen, so wie es dort derzeit "auf brillante Weise" auch Vojislav Seselj tue. Dem serbischen Nationalisten Seselj wird seit November in Den Haag der Prozess gemacht. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, gemeinsam mit Milosevic zur Ermordung von Muslimen und Kroaten in Bosnien, Kroatien und Serbien aufgerufen zu haben.

Vujacic bekräftigte zudem, dass er am Freitag Einspruch gegen eine Überstellung Karadzics an das Haager Tribunal einlegen werde, um diese so lange wie möglich hinauszuzögern. Seinen Angaben zufolge wird der 63-Jährige "nicht vor dem Ende kommender Woche" in die Niederlande überstellt. Die für Kriegsverbrechen zuständige Staatsanwaltschaft in Belgrad, die über den Einspruch entscheidet, signalisierte jedoch, ihre Frist von drei Tagen nicht auszuschöpfen. Ein Sprecher sagte dem Fernsehsender B92, dass Karadzic bereits "am Wochenende oder zu Beginn nächster Woche" überstellt werden könne. Dazu ist zuvor ein Beschluss des serbischen Justizministeriums erforderlich.

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