Neue Dimension Das Leben unter Terror-Bedrohung

Meinung | Berlin · Montag St. Petersburg, Freitag Stockholm, Sonntag Alexandria – noch vor wenigen Jahren vergingen viele Monate zwischen Terroranschlägen, die gleichwohl als besorgniserregende "Serie" wahrgenommen wurden. Nun liegen nur noch Tage dazwischen.

Neue Dimension: Das Leben unter Terror-Bedrohung
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Montag St. Petersburg, Freitag Stockholm, Sonntag Alexandria — noch vor wenigen Jahren vergingen viele Monate zwischen Terroranschlägen, die gleichwohl als besorgniserregende "Serie" wahrgenommen wurden. Nun liegen nur noch Tage dazwischen.

Die Orte machen deutlich, dass es nicht "das" Ziel und "das" Motiv gibt. Und das lässt die Dimension dieser zentralen Herausforderung für den Umgang Europas mit den Feinden des freien und friedlichen Zusammenlebens klar werden.

Es gibt Schnittmengen. Sie weisen etwa auf eine usbekische Herkunft von Tatverdächtigen und ihrem Umfeld sowohl bei den Anschlägen von Stockholm, St. Petersburg und zuvor in Istanbul hin. Usbekistan ist berüchtigt für seine katastrophale Menschenrechtslage, aber auch für die Vielzahl sunnitischer Muslime, die zu Stützen der Terrormiliz Islamischer Staat wurden.

Geschulte und kampferprobte Gotteskrieger kommen mit dem Vorrücken der Anti-IS-Koalition im Irak und in Syrien unter Druck. Sie selbst oder leicht verführbare Bekannte weichen aus und attackieren tanzende Menschen in der Türkei, einkaufende in Stockholm oder U-Bahn-fahrende in St. Petersburg.

Von dort ist es nicht weit zu den Aufrufen des IS, Anschlägen auf die Zentren der "Kreuzfahrernationen" zu begehen. Im Falle der mehrheitlich muslimischen Türkei musste dafür eine Hilfskonstruktion herhalten, und auch die weltweite Statistik der Terroropfer spricht dem Hohn, weil Muslime vom Schlag des IS und Al-Qaida vor allem Muslime töten. Aber der Versuch, einen Religionskrieg anzuzetteln, hat am Palmsonntag in Ägypten bestürzende Aktualität erlangt.

Es ist gut, dass in den Aufschrei über die Mordanschläge auf koptische Christen, Islamverbände lautstark einfallen. Leider hat diese Reaktion in Deutschland wenig mit dem Klima in Ägypten zu tun, in dem der Hass auf Christen weit verbreitet ist. Es fehlt eine weltweit anerkannte islamische Autorität, die die verhängnisvollen Entwicklungen stoppt und Orientierungen für die Koran-Interpretation zu geben vermag. Umso mehr sind die in Deutschland friedlich zusammenlebenden Muslims aufgerufen, ihre Erfahrungen verstärkt in muslimische Gemeinschaften weltweit rückzukoppeln.

Allerdings sind mit der salafistischen Bewegung auch in Deutschland die Scharfmacher auf dem Vormarsch, macht der sunnitisch-schiitische Glaubenskonflikt Machtausgleich und Stellvertreterkriege in Afrika und im Nahen Osten zusätzlich kompliziert. Das sind keine guten Botschaften für eine Woche, in der die christliche Welt die Kreuzigung und Auferstehung des Herrn begeht.

Lastwagen rast in Stockholm in Menschenmenge
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Hinzu kommt die Erkenntnis, dass noch so gewaltige Sicherheitsapparate wie in Russland und erst Recht in Ägypten keine Garanten gegen blutigen Terror sind. Schweden führt wegen des nicht abgeschobenen Tatverdächtigen nun die Debatte, die Deutschland wegen des nicht abgeschobenen Weihnachtsmarkt-Attentäters hatte. Konsequenzen mit Augenmaß sind in beiden Fällen angezeigt. Aber es werden auch die Grenzen nachrichtendienstlicher Warnsysteme sichtbar, wenn es nicht mehr um auffällige Vorbereitungen von Terroranschlägen in Kommunikation und Bombenbau geht, sondern wenn Einzeltäter Fahrzeuge spontan zu Waffen machen.

Das führt zum Kern der zunehmend präsenten Bedrohung. Terror will, dass die Menschen ihr Leben verändern. Sie sollten sich das immer vor Augen halten — und es erst Recht nicht aus Furcht vor dem Terror selber erledigen.

(may-)
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