Journalist ein Jahr in Haft Türkei weckt Hoffnung auf Freilassung Yücels

Istanbul · Seit exakt einem Jahr ist Deniz Yücel hinter Gittern. Der türkische Ministerpräsident Yildirim nährt vor einem Besuch bei Kanzlerin Merkel Hoffnungen, dass es in dem Fall bald voran gehen könnte.

 Deniz Yücel (Archiv).

Deniz Yücel (Archiv).

Foto: dpa, ks aen tba

Ein Jahr hat die türkische Justiz Zeit gehabt, doch bis heute liegt keine Anklageschrift gegen Deniz Yücel vor. Auch 365 Tage, nachdem sich der "Welt"-Korrespondent der Polizei in Istanbul gestellt hat, ist damit kein Prozessbeginn in Sicht. Der Fall ist zu einer massiven Belastung des deutsch-türkischen Verhältnisses geworden, doch zum Jahrestag seiner Festnahme gibt es neue Hoffnung, dass sich endlich etwas bewegt.

Ministerpräsident Binali Yildirim betonte in einem ARD-Interview zwar erneut die Unabhängigkeit der türkischen Justiz, äußerte aber zugleich die Hoffnung auf eine baldige Freilassung Yücels. "Wenigstens wird er vor Gericht erscheinen und jede Verhandlung ist eine Chance, damit er freikommt." Weiter sagte der türkische Ministerpräsident: "Ich hoffe, dass er in kurzer Zeit freigelassen wird. Ich bin der Meinung, dass es in kurzer Zeit eine Entwicklung geben wird." Yildirim will am Donnerstag in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine "neue Seite" aufschlagen.

Wie Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) betonte, ist der Fall Yücel dafür "weiterhin eine der großen Hürden". Er sei aber intensiv um eine Lösung bemüht, versicherter er am Mittwoch. Demnach hat er "in den letzten Tagen und Wochen intensive Gespräche" mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu geführt und ihn auch wiederholt getroffen, um darauf zu dringen, das Verfahren zu beschleunigen.

Yücel dringt seit Anbeginn auf einen Prozess, um sich zu verteidigen. Auch wenn Zweifel bestehen, dass er ein faires Verfahren erhält, will er unbedingt vor Gericht seine Unschuld beweisen. Als Außenminister Gabriel Anfang Januar Rüstungslieferungen an die Türkei von der Freilassung Yücels abhängig zu machen schien, lehnte dieser eine Freilassung im Tausch gegen Waffen vehement ab.

Der Journalist, der vor seiner Arbeit für die konservative "Welt" für die linke "taz" schrieb, ist als kämpferisch bekannt. In der Türkei war der Deutsch-Türke nie ein distanzierter Beobachter, dafür ging ihm die Entwicklung des Landes unter Recep Tayyip Erdogan zu nah. In seinen Artikeln sparte er nicht mit Kritik am Kurs des Präsidenten und wagte sich auch an brisante Themen, von denen andere lieber die Finger ließen.

So war Yücel im Oktober 2016 einer der wenigen, die über die Enthüllungen des Hackerkollektivs "Redhack" zu Erdogans Schwiegersohn und Energieminister Berat Albayrak schrieben. Als daraufhin türkische Medien über einen Haftbefehl gegen ihn berichteten, suchte Yücel auf dem Gelände der deutschen Kulturakademie Zuflucht, die kurioserweise an die Istanbuler Residenz Erdogans grenzt.

Anwalt wertet U-Haft als Bestrafung

Da diese Situation auf Dauer nicht haltbar war, stellte sich Yücel am 14. Februar der Polizei zur Befragung. Die nahm ihn umgehend in Gewahrsam, zwei Wochen später ordnete ein Richter Untersuchungshaft an. Yücels Berichte zu den "Redhack"-Enthüllungen waren dabei kein Thema, stattdessen stützte sich die Staatsanwaltschaft auf seine Artikel zum Kurdenkonflikt und zum Putschversuch von Juli 2016.

Auf "Volksverhetzung" und "Terrorpropaganda" lautet seitdem der Vorwurf, doch eine offizielle Anklageschrift gibt es bis heute nicht. Dabei soll der Fall nicht kompliziert sein, wie sein Anwalt Veysel Ok Ende Dezember hervorhob, die lange Dauer der Ermittlungen sei daher nicht zu rechtfertigen. Der Anwalt sieht die lange U-Haft als "Bestrafung vor dem Urteil", zumal Yücel über Monate ohne Grund in Isolationshaft saß.

Erst Anfang Dezember wurde Yücel in eine Zelle verlegt, in der er einen Hof mit dem Journalisten Oguz Usluer teilt. Ein Mal pro Woche darf er durch eine Glasscheibe seine Frau Dilek Mayatürk sehen, die er im April in Haft heiratete, damit sie ihn besuchen kann. Über seine Anwälte schaffte Yücel es, ein neues Buch zu veröffentlichen. Der Titel: "Wir sind ja nicht zum Spaß hier".

(wer)
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