Merkel und Obama Der Coole und die Kühle

Washington (RPO). Mehr als ein Jahr ist US-Präsident Barack Obama nun im Amt. Doch eine persönliche Bande zur wichtigsten Verbündeten in Europa, Bundeskanzlerin Angela Merkel, ist nicht zu spüren. Bei Obamas Mega-Gipfel in Washington stand die deutsche Regierungschefin meist im Schatten.

Merkel und Obama im Weißen Haus
8 Bilder

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Washington (RPO). Mehr als ein Jahr ist US-Präsident Barack Obama nun im Amt. Doch eine persönliche Bande zur wichtigsten Verbündeten in Europa, Bundeskanzlerin Angela Merkel, ist nicht zu spüren. Bei Obamas Mega-Gipfel in Washington stand die deutsche Regierungschefin meist im Schatten.

Die Gestik des Gipfels spricht Bände. Obama herzt Myung-Bak, Koreas Staatschef. Obama scherzt mit Argentiniens Präsidentin Kirchner. Obama umarmt Brasiliens Präsident Lula. Und Angela Merkel? Eine zarte Berührung auf der Schulter steht symbolisch für die betont zurückhaltende Beziehung zwischen dem US-Präsidenten und der Kanzlerin.

Beim traditionellen Gruppenfoto auf dem Nukleargipfel in Washington positionierten die US-Protokollanten den deutschen Gast gar am äußersten Rand, keine höfliche Geste. Zumal Merkel mit Argentiniens Präsidentin Kirchner der einzige weibliche Gast war.

Die Beziehung zwischen den Regierungschefs der größten und der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Im US-Vorwahlkampf 2008 hatte Merkel deutlich vernehmbar Sympathien für Obamas Herausforderin Hillary Clinton gezeigt. Die brüske Absage an einem Wahlkampfauftritt Obamas vor dem Brandenburger Tor belegte das später eindrucksvoll und sorgte für nachhaltige Verärgerung im Team des aufsteigenden US-Senators.

Merkel fand die Idee einer US-Wahlkampfrede vor dem steinernen Symbol der deutschen Teilung absurd, geradezu "anmaßend", wie Berater später berichteten. Nach der Amtseinführung Obamas prägten heftige transatlantische Debatten über Zeitpunkt und Volumen der Konjunkturpakete die Stimmung. US-Nobelpreisträger Krugman nannte die Deutschen "cowards" — Feiglinge. Im Weißen Haus dürfte man nicht anders gedacht haben.

So wurde recht schnell der Mentalitätsunterschied zwischen der ostdeutschen Politikwerkerin und dem Polit-Star aus Chicago offensichtlich. Hier der lässige Charismatiker mit dem Hang zum Pathos, dort die nüchtern abwartende Regierungs-Managerin. Der Coole und die Kühle, ein ungleiches Paar.

Obama preschte oft vor, forcierte ein Großprojekt nach dem anderen, predigte die atomwaffenfreie Welt und die Fesselung der Finanzbranche. Merkel bevorzugte, ihrem Vorgänger ähnelnd, die "ruhige Hand" als Instrument des Krisenmanagements. Obama müsse erstmal Ergebnisse liefern, gifteten Merkel-Vertraute in den ersten Monaten nach seiner Wahl. Als Obama schließlich im Juli 2008 vor 200.000 Menschen im Tiergarten auftrat und kurz vorher auch noch lässig in einem Berliner Fitnessstudio Gewichte stemmte, stöhnten Merkel-Leute ob der Inszenierung. "Was hat das mit Politik zu tun?". Personenkult, Star-Attitüden — damit kann die ergebnisorientierte Kanzlerin in der Tat wenig anfangen.

Er nennt sie "Angela", aber das bedeutet wenig

Seither ist wenig geschehen. Das Verhältnis sei professionell und verlässlich, heißt es diplomatisch. Er nennt sie "Angela", aber das amerikanische "Du" ist kein Ausdruck für Nähe. Als Obama im Vorjahr bei seinem Besuch in Dresden auf das persönliche Verhältnis angesprochen wurde, sagte er nur. "Das Verhältnis zwischen unseren beiden Ländern und unseren beiden Regierungen ist sehr gut." Auch eine Antwort.

Obama schätzt durchaus Merkels Zurückhaltung, ihre analytische Schärfe, wie US-Journalisten berichten. Nur braucht der knallharte Interessenpolitiker Merkels Deutschland nur noch bedingt. Afghanistan-Einsatz, der Kampf gegen Irans Atomprogramm, viel mehr ist da derzeit nicht. Bezeichnend, dass der US-Präsident neulich zur Videokonferenz mit Merkel gleich auch Englands Premier Brown und Frankreichs Präsident Sarkozy hinzu bat.

Im Wettbewerb um Wachstum und Wohlstand sind Deutschland und die USA scharfe Konkurrenten. Ausgerechnet der freiheitsliebende US-Amerikaner setzt derzeit auf Handelshemmnisse, belegt deutsche Autobauer in den USA mit überzogenen Strafzahlungen und bevorzugt den US-Flugzeugbauer Boeing bei Regierungsaufträgen. Sperrige, heikle Themen, die den Atlantik zu einem unüberwindbaren Ozean aufwühlen lassen.

Schlimmer noch, dass Frankreichs Präsident Sarkozy und Italiens Staatschef Berlusconi sich ihrer persönlichen Verbundenheit zu Obama rühmen und jede Menge anekdotisches aus diversen Privattreffen vorweisen können. Jenseits offizieller Termine kamen sich Merkel und Obama indes bisher nicht näher. Direkte, emotionale Begegnungen, wie sie beispielsweise Helmut Kohl und George Bush senior zur Wendezeit erlebten, fehlen. Dass 30-minütige Treffen im Washingtoner Kongresszentrum gestern Abend dürfte auch nicht dazu zählen.

Die Zeit der glühenden transatlantischen Visionen ist eben vorbei, stellte neulich der Deutschland-Korrespondent der "New York Times" fest. Obama hat es bei seinem Berliner Wahlkampfauftritt ungewohnt offen formuliert. "Wenn wir ehrlich miteinander sind, dann wissen wir, dass wir auf beiden Seiten des Atlantiks gelegentlich auseinandergedriftet sind". Höchste Zeit, wieder zusammenzufinden.

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