Nahost-Konflikt Gaza und die Wurzeln des Hasses

Sderot · Seit vielen Jahren eskaliert die Lage rund um die Region immer wieder: Palästinenser beschießen israelische Städte, Israel schlägt aus der Luft zurück. Doch woher rührt dieser tiefe Hass auf beiden Seiten des Grenzzauns?

"Hass? Ich hasse die Menschen in Gaza nicht", sagt Eli Moyal. Dabei würde man das gerade bei diesem israelischen Lokalpolitiker vermuten. Schließlich ist er für seine harten Äußerungen gegen die radikal-islamische Hamas bekannt. Zehn Jahre war Moyal Bürgermeister von Sderot. Ab 1998 erlebte er die Wandlung der Kleinstadt zu einer Grenzstadt, vom sozialen Brandherd zum permanenten Krisengebiet, in dem seit 2001 Zehntausende palästinensische Raketen niedergingen. Seine Wähler waren die ersten Israelis, die forderten, "diesen Islamisten den Garaus zu machen", sagt Moyal. Auch jetzt wünscht er sich eine Bodenoffensive: "Ich will, dass es wieder so wird wie früher."

Moyal lebt in Sderot, seit er als fünfjähriges Kind aus Marokko einwanderte. Damals war Gaza Feindesland direkt um die Ecke. Doch 1967 änderte sich die Lage schlagartig: Israel eroberte Gaza im Sechs-Tage-Krieg - die Grenze verschwand. Die palästinensische Stadt Beit Hanun liegt nur 900 Meter von Sderot entfernt. "Wir wurden richtig gute Nachbarn", berichtet Moyal. "Wir gingen zu Fuß nach Gaza, tranken dort Kaffee, kauften ein. Ich sehne mich noch heute nach den Kräutern und dem Gemüse dort, dem besten in Nahost." Doch die Harmonie war eine Scheinidylle. Gaza war seit Israels Staatsgründung 1948 ein problematisches Pflaster.

Chronologie zum Konflikt im Nahen Osten
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Foto: AFP/JACK GUEZ

Der israelische Unabhängigkeitskrieg löste gewaltige Flüchtlingsströme aus. Rund 250 000 Palästinenser aus 144 Städten und Dörfern flohen in den Gaza-Streifen, wo nur 80 000 Menschen lebten. Der Küstenstreifen mit den goldenen Sandstränden am azurblauen Mittelmeer wurde zum Armenhaus: 65 Prozent der Flüchtlinge waren ohne Ausbildung, 90 Prozent von ihnen Analphabeten. Die Uno brachte sie nur notdürftig in Lagern unter. Unter ägyptischer Militärherrschaft hatten sie kaum Rechte und durften sich nicht frei bewegen.

Für Kairo waren die Palästinenser Bauernopfer auf dem politischen Schachbrett des Nahen Ostens. Ägypten förderte palästinensische Freischärler, die in Israel Attentate verübten. Mit dieser Stecknadel-Taktik wollte man Israel demoralisieren. Den politischen Islam unterdrückte das säkulare ägyptische Regime mit eiserner Faust: Die Muslimbrüder flohen nach Saudi-Arabien und brachten bei ihrer Rückkehr radikal-islamische Ideen mit.

Gazastreifen: Bilder der Raketenangriffe durch Israel
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Weitere Tote bei Raketenangriffen auf Gazastreifen

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Der Sechs-Tage-Krieg 1967 änderte alles: Israel öffnete die Grenze, es gab Bewegungsfreiheit und Arbeit in Fülle. Dennoch wuchs der Frust in Gaza. Denn politisch blieb die Lage hoffnungslos. Nirgends bekamen die Palästinenser die Folgen der israelischen Siedlungspolitik härter zu spüren als dort. 21 Siedlungen entstanden auf Gazas bestem Boden. Sie gaben zwar vielen Arbeit. Doch nur 8000 Siedler beanspruchten am Ende 20 Prozent des Landstrichs, in dem inzwischen 1,5 Millionen Menschen lebten. Die Ungleichheit schrie zum Himmel. Hinzu kam politische Aussichtslosigkeit. Niemand nahm sich der Palästinenser an. Ihre Befreiungsorganisation, die PLO, war ineffektiv. Ägypten schloss einen Friedensvertrag mit Israel. Die verzweifelten Flüchtlinge nahmen die Dinge selbst in die Hand: 1987 brach die erste Intifada aus, die Hamas wurde gegründet. Sie machte aus dem Volksaufstand eine Terrorkampagne, die immer schwerere israelische Vergeltung nach sich zog. Waren Menschen aus Gaza und Israel bis dahin ungleiche Bewohner eines Landes, wurden sie nun immer mehr getrennt. Anschläge führten zu Einreisebeschränkungen. Die Armut in Gaza wuchs - ein Teufelskreis. Selbst die einseitige Räumung der 21 Siedlungen in Gaza konnte ihn nicht durchbrechen.

Denn die Extremisten wissen, dass ihnen die Not ihrer Mitbürger dient. Je ärmer die Bewohner Gazas, desto verzweifelter sind sie, desto größer wird ihre Opferbereitschaft. Und so beschoss die Hamas jahrelang zynisch nicht nur israelische Städte, sondern auch die Grenzübergänge, worauf Israel sie immer öfter schloss. Menschen und Waren konnten Gaza nun nicht mehr verlassen. Firmen gingen bankrott, Arbeiter verloren ihren Job in Israel, Studenten ihren Studienplatz.

Wer oder was ist die Hamas?
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Foto: AFP

Israel schlug immer öfter und härter zurück. Da die Islamisten hauptsächlich aus Wohngebieten agieren, ist Israels Armee gezwungen, ausgerechnet da zuzuschlagen, wo Unschuldige leben. Die immer wiederkehrenden Bilder toter Kinder bringen nun das Blut auch der pragmatischsten Palästinenser in Wallung, während der Dauerbeschuss Israels auf der anderen Seite die Hoffnung auf Koexistenz schwinden lässt.

Der Hass auf Israel ist in Gaza größer als an jedem anderen Ort der Welt - so groß, dass man auf den Straßen Süßigkeiten verteilte, als bekannt wurde, dass die drei entführten israelischen Jugendlichen ermordet worden waren.

(RP)
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