Erdogan will Minderjährigen bestrafen Der Prozess ist vertagt, die Kritik geht weiter

Istanbul · Die türkische Justiz geht immer häufiger auch gegen Jugendliche vor, die Präsident Recep Tayyip Erdogan kritisieren. Jetzt begann ein Prozess gegen einen 16-jährigen Schüler, der den Staatschef als korrupt bezeichnet hat.

Dem 16-jährigen Mehmet Altunses (Mitte) wird der Prozess gemacht, weil er den türkischen Präsidenten Recep Tyyip Erdogan der Korruption bezichtigt hatte.

Dem 16-jährigen Mehmet Altunses (Mitte) wird der Prozess gemacht, weil er den türkischen Präsidenten Recep Tyyip Erdogan der Korruption bezichtigt hatte.

Foto: Ozan Buz

Dass Teenager hin und wieder Dinge von sich geben, die Erwachsene auf die Palme bringen, sollte eigentlich zur Normalität gehören. Doch in der Türkei ist das anders, zumindest wenn sich junge Leute in der Öffentlichkeit kritisch über den türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdogan, äußern. Im zentralanatolischen Konya steht seit gestern ein 16-jähriger Oberschüler vor Gericht, weil er das Staatsoberhaupt beleidigt haben soll. Dem Jungen drohen vier Jahre Haft.

Das Verfahren wurde gestern in Konya nach nur 15 Minuten wegen eines Befangenheitsantrags gegen das Gericht auf den 3. April vertagt, wie der Aktivist Umut Kurt von der Unterstützungskampagne für den Angeklagten mitteilte.

Dessen Fall ist bei Weitem nicht der einzige seiner Art. Der junge Angeklagte, Mehmet Emin Altunses, hatte im Dezember bei einer Veranstaltung in Konya gesagt, er erkenne Erdogan nicht als Präsident an. In Anspielung auf die Korruptionsvorwürfe gegen die Erdogan-Regierung und auf den umstrittenen neuen Amtssitz des Präsidenten sagte Altunses, für ihn sei Erdogan der "Chef von Korruption, Bestechung und Diebstahl" und wohne in einem "illegalen Palast".

Für die türkischen Behörden reichte das, um den Schüler während des Unterrichts zu verhaften. Zwar kam Altunses nach zwei Tagen wieder frei, doch gab die Regierung in Ankara der Justiz in Konya die Erlaubnis, ein Verfahren gegen den Teenager anzustrengen. Im Prozess vor einem Jugendgericht wird Altunses von Oppositionsgruppen unterstützt.

Seine Mutter Nazmiye Gök nannte die Festnahme ihres Sohnes eine Schande. Mehmet Emin Altunses sei behandelt worden wie ein Terrorist. Im EU-Bewerberland Türkei sehen Regierung und Behörden aber kein Problem darin, dass selbst Minderjährige wegen Meinungsäußerungen mit Haft bedroht werden. Jeder sei aufgerufen, dem Präsidenten den gebührenden Respekt zu zollen, sagte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu. Kritik wird schnell als Majestätsbeleidigung ausgelegt. Im westtürkischen Ayvalik wurde diese Woche ein 13-jähriger Schüler von der Staatsanwaltschaft verhört, weil er Erdogan mit einem Kommentar auf Facebook beleidigt haben soll. Im südtürkischen Antalya erhielt ein 17-Jähriger eine Bewährungsstrafe wegen unliebsamer Äußerungen über Erdogan.

Auch volljährige Erdogan-Kritiker sind vor der Justiz nicht sicher: Ein Gericht in Ankara erließ am Donnerstag Haftbefehl gegen den Kolumnisten Ömer Aytac, der nicht zu einer Gerichtsverhandlung wegen angeblicher Präsidentenbeleidigung erschienen war. In einigen Fällen kommen die Ermittlungen der Justiz auf ausdrückliche Aufforderung von Erdogans Anwälten zustande. So muss die frühere türkische Schönheitskönigin Merve Büyüksarac mit zwei Jahren Haft rechnen, weil sie über die Foto-Plattform Instagram ein Gedicht verbreitete, das sich ebenfalls im Zusammenhang mit der Korruptionsaffäre über Erdogan lustig macht. Die Staatsanwaltschaft war nach einer Beschwerde der Anwälte des Staatspräsidenten tätig geworden. Auch Büyüksarac wurde vorübergehend festgenommen.

Erdogan geht schon seit Jahren mit rechtlichen Schritten gegen Kritiker vor, wenn er sich beleidigt fühlt. So erwirkte er mehrere Strafverfahren gegen den Karikaturisten Musa Kart, der den langjährigen Regierungschef und heutigen Präsidenten unter anderem als Katze zeichnete, die sich in einem Wollknäuel verfangen hat. Seit Erdogans Wahl zum Staatspräsidenten im vergangenen Jahr häufen sich die Ermittlungen, Anzeigen und Strafverfahren. Dabei war Erdogan selbst in der Frühzeit seiner Karriere Ende der 90er Jahre ins Gefängnis gekommen, weil er öffentlich ein Gedicht vortrug, das ihm als Volksverhetzung ausgelegt wurde. Jetzt zieht er nach Ansicht von Kritikern als Präsident die Grenzen der Meinungsfreiheit immer enger. Der Oppositionspolitiker Atilla Kart wirft Erdogan vor, mit "Angst, Druck, Drohungen und Festnahmen" zu arbeiten, um seine Gegner einzuschüchtern.

"Der Gesellschaft soll eine Botschaft übermittelt werden", sagte Musa Kart über den Fall des jungen Mehmet Emin Altunses. Die Opposition sieht autoritäre Tendenzen beim Staatspräsidenten Erdogan, die eine Bedrohung für die Demokratie darstellen. Erdogan und seine Anhänger lässt das kalt. Sie argumentieren, die Beleidigung von Staatsoberhäuptern werde auch in westlichen Staaten strafrechtlich verfolgt.

(RP)
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