Volksabstimmung in der Schweiz Deutsche — die ungeliebten "Masseneinwanderer"

Bern · Rechtspopulisten in der Schweiz fordern einen Stopp der "Masseneinwanderung". Dafür haben sie eine Initiative ins Leben gerufen, am heutigen Sonntag gibt es eine Volksabstimmung darüber. Auch viele Deutsche müssten den Traum von einem Job im Alpenland aufgeben. Ihr Ruf ist ohnehin nicht der beste.

Der Ausländeranteil in den Schweizer Nachbarländern
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Der Ausländeranteil in den Schweizer Nachbarländern

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Foto: dpa, pse hpl kde

Allein 2012 suchten fast 21.000 Deutsche in der Eidgenossenschaft ihr Glück. Die meisten kamen laut Statistischem Bundesamt aus Baden-Württemberg (6588), gefolgt von Bayern (3038) und Nordrhein-Westfalen (2618). Gleich nach den USA ist die Schweiz das beliebteste Auswanderungsland der Deutschen.

Das könnte sich ändern, denn an diesem Sonntag stimmen die Eidgenossen über eine Volksinitiative gegen "Masseneinwanderung" ab. Urheber ist die national-konservative Schweizerische Volkspartei (SVP). Sollte die Initiative angenommen werden, müsste Bern in Brüssel auf eine Änderung des 1999 unterzeichneten Abkommens über Personenfreizügigkeit dringen und wieder Obergrenzen für die Zuwanderung auch aus der EU festlegen.

300.000 Deutsche in der Schweiz

Das könnte auch viele Bundesbürger treffen, die von einem Job in der Schweiz träumen. Rund 300.000 Deutsche leben bereits in der Alpenrepublik. Nach den Italienern bilden sie die zweitgrößte Ausländergruppe. Als Ärzte, Forscher, Manager oder Unternehmer verdienen sie hier gutes Geld. Auch etliche Friseure oder Kellner stammen aus dem "großen Kanton" im Norden.

Viele Deutsche kämen mit guten geisteswissenschaftlichen oder technischen Ausbildungen, sagt der Geschäftsführer der Deutsch-Schweizer Handelskammer in Zürich, Ralf Bopp. Ihre Integration funktioniere "im Großen und Ganzen" gut. Allerdings dürfe man nicht denken, die Schweiz sei ein 17. Bundesland. "Dann ist die Gefahr groß, dass man Schwierigkeiten bei der Integration hat."

Das Ansehen der Deutschen bei den Eidgenossen ist ohnehin nicht das beste. Der Sozialwissenschaftler Marc Helbling hat das belastete Verhältnis beider Länder untersucht.

Nationalsozialistisches Erbe

Sein Fazit für die verbreitete Deutschland-Feindlichkeit bei den Schweizern im Schweizer "Tagesanzeiger": "Gewisse Grundhaltungen können durch das nationalsozialistische Erbe Deutschlands erklärt werden. Es zeigt sich aber auch: Überall wo bislang eine Ausländergruppe über einen kurzen Zeitraum eingewandert ist, kam es zu ablehnenden Haltungen. Die Deutschen in der Schweiz werden als kulturelle und ökonomische Bedrohung wahrgenommen."

Und dennoch überrascht bei der Untersuchung des Verhältnisses ein Aspekt: "Außergewöhnlich bei der Deutschenfeindlichkeit in der Schweiz ist allerdings, dass in diesem Fall eine kulturell recht ähnliche Gruppe angefeindet wird."

Etwa 23 Prozent der gut acht Millionen Einwohner der Schweiz sind Ausländer. In Deutschland, wo das Thema Zuwanderung ebenfalls ein heißes Eisen ist, sind es rund neun Prozent. "Rund 80.000 Personen wandern jährlich mehr in unser Land ein als aus", rechnet die SVP vor.

SVP: Nur Indien schlägt die Schweiz

Jährlich entstehe neu eine Stadt in der Größe von Luzern oder St. Gallen. Ein solcher Bevölkerungszuwachs werde höchstens von Indien übertroffen. Überfüllte Züge, verstopfte Straßen, Umweltschäden, überforderte Sozialsysteme sowie die Gefahr von Lohndumping seien die Folgen.

Mit einer millionenschweren Kampagne versucht die Wirtschaft, die SVP auszubremsen. Der Fachkräftemangel werde sich verschärfen, wenn Unternehmen sich nicht mehr frei aus dem Pool der EU-Arbeitskräfte bedienen könnten. Zudem drohe ein Imageschaden, warnt Elisabeth Zölch Bührer, Arbeitgeber-Präsidentin der Uhrenindustrie. "Made in Switzerland" — fürchtet man in der Exportwirtschaft — könnte als "Hergestellt im Abschottungsland" interpretiert werden.

Sorgen machen sich Politiker von den Grünen bis zu den Christdemokraten wegen der "Guillotine-Klausel" in den sieben Verträgen mit Brüssel. Sie regeln die Sonderbeziehung der Schweiz zur EU. Wird einer verletzt, können die anderen ausgesetzt werden.

Schweiz ist abhängig von der EU

Unmissverständlich wies EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bereits darauf hin, dass man der Schweiz bekanntlich einen privilegierten Zugang zum europäischen Binnenmarkt mit 500 Millionen Konsumenten gewährt. Jeden dritten Franken verdiene man im Handel mit der EU, rechnete der Unternehmerverband Economiesuisse vor. "Davon ist jeder dritte Arbeitsplatz in der Schweiz abhängig."

Bislang sah es so aus, als würden die Schweizer das Ansinnen der SVP zurückweisen. Doch laut Umfragen ist die einst klare Mehrheit der Ablehner auf nur noch 50 Prozent geschrumpft. 43 Prozent wollen für den Einwanderungsstopp stimmen, 7 Prozent sind unschlüssig.

Kein Wunder, dass Regierungspolitiker Angst bekommen haben. Sie reisten kreuz und quer durchs Land, um das Volk gegen die SVP-Initiative zu mobilisieren. Die Zeitung "Blick" nannte den Einsatz in Anlehnung an die größte Radrundfahrt der Schweiz spöttisch: "Tour de Schiss".

(rpo/dpa)
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