Persönliches TV-Interview Die Leiden des Mr. Brown

London (RP). Viele warfen Großbritanniens Premierminister Gordon Brown vor, dass ihm jegliche Art von emotionaler Intelligenz fehle. In einem am Sonntag ausgestrahlten TV-Interview gab er sich ungewöhnlich offen, sprach sogar über den Tod seiner elf Tage alten Tochter im Jahr 2002.

Brown und Miliband - gute Miene zum bösen Spiel
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Er hält sich für eine ehrliche Haut und eine fleißige Biene. Sie glauben, dass er ein gnadenloser Kontrollfreak ist, dem jegliche emotionale Intelligenz fehlt. Gordon Brown und die Briten: Das passte bislang schlecht zusammen. Doch nun soll ein Wunder geschehen. Etwa drei Monate vor der Parlamentswahl öffnet der als verschlossen geltende Premier in einem Interview sein Herz für die Landsleute. Warum? "Weil die Menschen wissen müssen, wer ich bin", erklärt Brown. Weil der Labour-Chef mit dem "zynischen" Seelenstriptease seine Fehler kaschiere, kritisieren seine Gegner.

Schon lange prophezeien die Umfragen Labour eine Katastrophe bei der kommenden Wahl. Brown hatte Mitte 2007 auf eine relativ undemokratische Weise die Macht von Tony Blair geerbt, ohne sich einer nationalen Abstimmung stellen zu müssen. Er braucht einen Wahlerfolg, der ihm die nötige Legitimität für sein ambitioniertes Reformprogramm verleihen würde. Allerdings wirkt Labour verbraucht, und Brown kann mit seinem wortgewandten Rivalen David Cameron nicht mithalten.

Was tun? "Authentisch sein", lautet der Rat der von der Downing Street zu Hilfe gerufenen PR-Experten. Brown hatte sich immer geweigert, sein Privatleben mit der Öffentlichkeit zu teilen. Jetzt hat der Premier aber dem Druck seiner Berater nachgegeben, die die "Humanisierung" des "düsteren Schotten" als letzten Trumpf vor der Wahl ausspielen wollen.

Ich bin ein "offenes Buch", behauptet also der 59-Jährige in dem einstündigen TV-Interview mit dem Sender ITV, das gestern ausgestrahlt wurde Es ließ manche Briten sich ungläubig die Augen reiben: So offen, spontan, emotional und so charmant haben sie "ihren" Gordon noch nie erlebt. Im Interview gesteht Brown, dass er sich Mitte der 90er Jahre für einen besseren potenziellen Premier als der damalige Parteichef Blair gehalten habe. Er bestätigt Berichte über spätere heftige Streitereien mit Blair "im nationalen Interesse".

Brown blickt an den ersten Tag des neuen Jahrtausends zurück, als er seiner "wunderschönen" Sarah an einem "wilden Strand" in Schottland den Heiratsantrag gemacht habe — ohne Ring und mit den nüchternen Worten: "Wir sollten bald heiraten, bitte". Er habe als Student manchmal bis zu sechs Pints (3,3 Liter) Bier an einem Abend getrunken, gibt der Regierungschef zu.

Der an einem Auge blinde Brown fährt nach eigenen Worten seit fast 30 Jahren nicht mehr selbst Auto, und er schreibt "miserabel". Es gab auch heitere Momente in dem Gespräch, etwa wenn der chronisch unordentliche Premier sich an den Einbruch in seiner Wohnung erinnert: "Ich ging mit einem Polizisten in mein Arbeitszimmer, und er sagte: ,Alles durchwühlt'. Ich erklärte ihm, dass der Dieb nicht in diesem Zimmer gewesen war. Ich hatte es selbst so hinterlassen."

Bei der Frage nach dem Tod seiner elf Tage alten Tochter Jennifer 2002 werden Browns Augen feucht. "Wir tauften sie, ich hielt sie in meinen Armen, und sie starb", sagt er mit gedrückter Stimme. So zerbrochen habe er sich gefühlt, dass er keine Musik hören konnte, gesteht der Labour-Chef. Er sei optimistisch, dass sein an der Mukoviszidose erkrankter jüngerer Sohn Fraser (3) dank neuer Therapien ein vollwertiges Leben führen werde.

Trotz aller Schicksalsschläge fühlt sich der Premier als ein "Glückspilz", weil er eine "wundervolle Familie" habe. Zeitgleich mit dem Interview startete Sarah Brown eine eigene Charmeoffensive für ihren Mann. Im Internet nannte sie Brown nicht nur "leidenschaftlich", sondern auch "überraschend romantisch für einen Schotten".

(RP)
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