Kurden empört über Regierung Die Türken befürchten einen Bürgerkrieg

Istanbul/Berlin · Die Kurden sind empört über Regierungspläne zur Stärkung der Macht von Justiz und Polizei. Ankara droht mit harten Maßnahmen.

 Kurden beobachten vom türkischen Dorf Mursitpinar aus, wie Rauch über der Stadt Kobane aufsteigt.

Kurden beobachten vom türkischen Dorf Mursitpinar aus, wie Rauch über der Stadt Kobane aufsteigt.

Foto: afp, am/le

In der Türkei drohen kurz nach den jüngsten Kurdenprotesten und Gefechten in Südost-Anatolien neue schwere Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften und den Kurden. Die Rebellen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK riefen am Mittwoch zu Protesten gegen Regierungspläne zur Stärkung der Befugnisse von Justiz und Polizei auf. Der Gesetzentwurf der Regierung laufe auf einen "Krieg gegen die Kurden" hinaus, erklärte die Union der Gemeinschaften Kurdistans, der politische Arm der PKK.

Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte angesichts der Kurden-Unruhen in der vergangenen Woche eine harte Linie angekündigt und erklärt, die neuen Vorschriften würden "die Straßen von Vandalen säubern". Nach einem Gesetzentwurf der Regierungspartei AKP sollen Hausdurchsuchungen und Telefonüberwachungen erleichtert werden. Gleichzeitig wird das Recht auf Akteneinsicht für die Verteidigung in Strafprozessen eingeschränkt.

Die Polizei soll mehr Rechte beim Vorgehen gegen Demonstranten erhalten - wobei sich die Regierung von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu ausdrücklich auf das Vorbild Deutschland bezieht.

Es gehe darum, den Sicherheitskräften ein rasches Einschreiten gegen gewalttätige Kundgebungen zu ermöglichen, sagte Davutoglu. Mit Blick auf das von der Regierung zitierte Vorbild Deutschland erinnerte die Zeitung "Hürriyet" aber daran, dass Polizeieinsätze bei Demonstrationen in der Bundesrepublik strengen Regeln unterliegen. Fernen bestünden etwa für ein Kundgebungsverbot in Deutschland hohe Hürden. Die Opposition im Parlament in Ankara verglich die Regierungspläne mit Maßnahmen einer Militärregierung nach einem Staatsstreich. Auch von der Europäischen Union könnte Kritik kommen. Brüssel hatte bereits 2013 das harte Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte gegen die landesweiten Gezi-Park-Demonstrationen gerügt.

Regierungssprecher Bülent Arinc warf der PKK vor, die Lage in Kobane als Vorwand für einen Aufstand nutzen zu wollen. Für die Kurdenrebellen sei es einfach, sich in den Bergen Anatoliens gegen Vertreter Ankaras in den Hinterhalt zu legen, doch einen Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) in Kobane wage die PKK nicht.

Die neuen Spannungen bringen den ohnehin bereits gefährdeten Friedensprozess zwischen dem türkischen Staat und der PKK weiter in Bedrängnis. Der inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan spricht seit zwei Jahren mit dem türkischen Geheimdienst über Wege zu einer endgültigen Beilegung des Konflikts, der vor 30 Jahren begann und mehr als 40 000 Menschen das Leben gekostet hat. Die Weigerung der Türkei, in Kobane zugunsten der Kurden einzugreifen, hat jedoch viele Kurden in der Türkei aufgebracht. Anfang der Woche lieferten sich die türkische Armee und die PKK zum ersten Mal seit zwei Jahren ein größeres Gefecht.

Die Vizepräsidentin des Bundestags, Claudia Roth, hat das Vorgehen Ankaras gegen die PKK angeprangert. "Ganz offensichtlich führt die Regierung Erdogan im Moment eher einen Kampf gegen die Kurden als gegen den IS", kritisierte die Grünen-Politikerin gestern im Deutschlandfunk. Notwendig sei "massiver politischer Druck, um endlich klarzustellen, ob die Türkei bereit ist, das Päppeln des ,Islamischen Staates' aufzukündigen".

Nach den türkischen Angriffen auf kurdische Stellungen hat die Linke die Nato-Mitgliedschaft der Türkei infrage gestellt. "Die Türkei bombardiert die Kurden und schont die Terrorbanden - das ist effektiv eine Waffenbrüderschaft mit den IS-Terroristen", sagte Parteichefin Katja Kipping unserer Zeitung. Eine Armee, die die kurdische Selbstverteidigung gegen den IS schwäche, kämpfe definitiv auf der falschen Seite. "Das ist eine eklatante Verletzung der Bündnispflichten, auf die es nur eine Antwort geben kann: die Suspendierung der Nato-Mitgliedschaft der Türkei", erklärte Kipping. Zudem sei die "Geschäftsgrundlage für den Einsatz der deutschen ,Patriot'-Raketen entfallen": Die Flugabwehrsysteme müssten aus der Türkei abgezogen werden.

Die kurdischen Verteidiger der Grenzstadt Kobane melden unterdessen nach Luftunterstützung durch das US-geführte Militärbündnis Erfolge gegen den IS. Es sei den "Volksschutzeinheiten" gelungen, die Dschihadisten aus einigen Gebieten im Osten und Südwesten zu verdrängen, berichtete der kurdische Aktivist Farhad Schami.

(may-)
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