Analyse zur Aufhebung des Embargos Die umstrittene Waffenhilfe für Syrien

Brüssel · Das Waffenembargo der Europäischen Union gegen das vom Bürgerkrieg zerrissene Land wird nicht verlängert. Damit ist der Weg für Paris und London frei, die Rebellen aufzurüsten. Doch ist dieses Risiko kalkulierbar?

Catherine Ashton schaute zerknirscht drein, als sie Montagnacht den verkorksten Syrien-Beschluss der EU-Außenminister vor der Presse verteidigen musste. "Wir hatten lange Diskussionen", sagte sie ermattet nach zwölfstündigen Verhandlungen. Das war recht schönfärberisch ausgedrückt für das, was im Verhandlungssaal ablief.

Stundenlang stritten die Außenamtschefs um die Grundsatzfrage, ob die EU im Syrien-Konflikt Partei ergreifen und die Gegner von Machthaber Baschar al Assad mit Waffen unterstützen soll. Lange sah es so aus, als gingen sie im Eklat auseinander. Am Ende einigten sie sich einzig auf die Fortsetzung der Finanz- und Wirtschaftssanktionen um ein Jahr. Dazu gehören Einreiseverbote, Verbote von Banktransaktionen nach Syrien und ein Einfuhrverbot für Öl in die EU.

London und Paris drohten bis zuletzt, selbst diesen Minimalkonsens zu blockieren, wenn sie im Gegenzug nicht freie Hand bekämen, Waffen an die Opposition zu liefern. Die Möglichkeit haben sie nun: Eine Einigung auf eine Verlängerung des bisherigen Waffenembargos der EU gegen das vom Bürgerkrieg zerrissene Land kam nicht zustande — es läuft damit am Freitag aus. London und Paris können also national jederzeit entscheiden, die Aufständischen aufzurüsten. Sie wollen dies jedoch nicht sofort tun, sondern zunächst die von den USA und Russland geplante Friedenskonferenz abwarten.

Vorgaukeln einer einheitlichen Führung

Die Drohung mit Waffenlieferungen soll den Druck auf Präsident Assad erhöhen: Sollte er das gemeinsame Bemühen der Russen und der USA um eine politische Einigung hintertreiben, würden Paris und London die Rebellen im Sommer bewaffnen. Doch noch ist unklar, wann die geplante Friedenskonferenz in Genf stattfinden kann und wer überhaupt teilnehmen will.

Hinter der Absicht, die syrische Opposition aufzurüsten, steht das Kalkül, dass sich Assad langfristig nicht halten kann. Waffenlieferungen an seine Gegner würden also nicht nur den Bürgerkrieg schneller beenden, sondern auch den Einfluss auf eine zukünftige syrische Regierung sichern.

Die Gegner dieser Politik haben allerdings gute Argumente: Die Bezeichnungen "Syrischer Nationalrat" und "Freie Syrische Armee" gaukeln eine einheitliche politische Führung und eine geschlossene Streitmacht vor. Doch dahinter stehen zahlreiche, teils untereinander verfeindete Splittergruppen — von demokratisch orientierten Widerstandsgruppen bis hin zu radikalen Islamisten, die Zulauf auch durch Kämpfer aus dem Ausland wie Tschetschenien oder dem Irak haben.

Ihr Ziel ist die Bildung von "Gottesstaaten", und sie glauben, eine weltweite Mission zu haben. "Es besteht die Gefahr, dass westliche Waffen in die Hände von Islamisten geraten, die erst Assad stürzen, dann die Gemäßigten zum Schweigen bringen und Syrien schließlich in einen radikal-islamischen Staat verwandeln", fürchtet der Chef des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok (CDU), und verweist auf Afghanistan und den Irak. Wo letztlich die gelieferten Waffen zum Einsatz kämen und ob sie sich vielleicht sogar dann gegen die Lieferstaaten selbst richten würden, ist nicht zu kalkulieren.

Kriegsverbrechen auf beiden Seiten

Brok sieht den "einzig sinnvollen Weg" in der Kooperation mit Russland. Wenn Moskau seine Waffenlieferungen einstelle, könne Assad "ausgetrocknet" werden. Den Widerstandsgruppen ist zudem mit der Lieferung von Pistolen und Gewehren nur wenig geholfen. Für einen Sieg gegen die Truppen von Baschar al Assad ist es notwendig, die absolute Luftherrschaft der Regierungsstreitkräfte zu brechen. Die Rebellen müssten also unter anderem moderne Flugabwehrwaffen erhalten.

Befürworter des auslaufenden Waffenembargos verweisen auf ein mahnendes historisches Beispiel: Mit der Lieferung von 2000 tragbaren "Stinger"-Flugabwehrraketen an die islamischen Kämpfer hatten die USA in den 1980er Jahren den Abzug der Sowjettruppen aus Afghanistan maßgeblich mit erzwungen.

Aus den Verbündeten von damals wurden anschließend aber teilweise Feinde — und die USA hatten alle Hände voll zu tun, um die gefährlichen Raketen, mit denen 270 russische Flugzeuge und Hubschrauber abgeschossen worden waren, wieder einzusammeln. Das ist bis heute nicht gelungen, und möglicherweise ist auch die Zivilluftfahrt dadurch bedroht.

Die Sichtweise von "guten" und "bösen" Akteuren im syrischen Bürgerkrieg ist außerdem nicht haltbar: Beide Seiten begehen grausamste Kriegsverbrechen, mutmaßlich setzen die Assad-Truppen auch chemische Kampfstoffe ein, was vor allem die USA nicht wahrhaben wollen, wäre doch damit die von Präsident Barack Obama definierte "rote Linie" überschritten.

Brok: Die EU verliert ihren Einfluss

Russland hat unterdessen angekündigt, Assads Armee durch Lieferungen der mobilen Flugabwehrraketen S-300 zu unterstützen — ein Alptraum vor allem für Israel, weil es befürchtet, dass diese Waffen, die zu den modernsten Raketensystemen weltweit gezählt werden, an die mit Assad verbündete Hisbollah-Miliz im Libanon weitergegeben werden.

Im syrischen Bürgerkrieg mischen Saudi-Arabien, das Emirat Katar und der Iran mit. Assad versucht, den Kampf als Religionskrieg zwischen Schiiten und Sunniten zu deklarieren. Schiitische Kämpfer aus dem Iran und der schiitischen Hisbollah ziehen mittlerweile offen für Assad ins Gefecht.

Vor dieser schwierigen Situation hat die EU offenbar kapituliert. Wie schon im Libyen-Konflikt spricht sie nicht mit einer Stimme. Der jüngste Beschluss sei ein verheerendes Signal, empört sich Elmar Brok. "Das ist die Re-Nationalisierung der EU-Außenpolitik. Dadurch verliert die EU ihre Mittlerposition und ihren Einfluss."

(RP/das)
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