Wenig erfolgreicher Gipfel in St. Petersburg Die zerstrittene G20-Familie
St. Petersburg · So richtig wollen die G20-Führer nicht zusammenrücken. Im fünften Jahr ihrer Existenz präsentiert sich die Gipfeltruppe der Industrie- und Schwellenländer (G20) so zerstritten wie nie zuvor.
Mit deutlichem Abstand zueinander stellen sich die Staats- und Regierungschefs vor dem malerischen Konstantinpalast in St. Petersburg zum "Familienfoto" auf. Auf Kommando winken sie in die Kameras. Die Sonne strahlt. Kein Wölkchen steht am Himmel über der früheren Zarenstadt. Doch von eitel Sonnenschein kann keine Rede sein.
Dass auf dem bislang achten Gipfel nicht noch mehr Porzellan zerschlagen wurde, wird am Ende schon als Erfolg gewertet. Im Umgang mit der Eskalation der Gewalt in Syrien wird den G20-Führern Untätigkeit, Handlungsunfähigkeit und "ein Mangel an Ambitionen", so ein westlicher Regierungschef in kleiner Runde, bescheinigt.
Als Barack Obama am Abend reichlich verspätet und alleine zum Essen erscheint, wirkt der US-Präsident isoliert mit seinen Plänen für einen Militärschlag auf Syrien, um das Regime in Damaskus für den Chemiewaffeneinsatz zu bestrafen. Ein tiefer Spalt tut sich zwischen Gegnern und Befürwortern eines Gewalteinsatzes auf.
Wenn der Gipfel die "letzte Chance" war, eine politische Lösung anzuschieben, wie Italiens Ministerpräsident Enrico Letta meinte, blieb sie auf jeden Fall ungenutzt. Neue Pflöcke wurden nicht eingeschlagen, wie auch Kanzlerin Angela Merkel gehofft hatte.
Nur Frankreich unterstützt Obama in der Syrien-Frage
Die meisten Europäer verstecken ihren Widerstand gegen einen Militärschlag hinter dem Argument, die Vereinten Nationen müssten ihn autorisieren - wohlwissend, dass China und Russland dem nie zustimmen würden. Allein Frankreich unterstütze die USA bei einem militärischen Vorgehen, offenbart Ratspräsident Herman Van Rompuy die Differenzen. Die Franzosen erfreut das keineswegs.
Gastgeber Wladimir Putin nutzt den Gipfel, um Obama als Kriegstreiber und sich selbst als Friedenszar zu präsentieren. Beide würdigen sich keines Blickes, während sie sich zum Familienfoto aufstellen. Gequält lächelnd schaut Obama zu Boden. Auch der Kremlchef blickt bemüht am US-Präsidenten vorbei.
Erst am Nachmittag, nach dem Gipfel, wird klar: Putin und Obama hatten sich doch auch zu einem persönlichen Gespräch getroffen. Die Differenzen in der Syrienfrage blieben aber unverändert, wurde verbreitet.
Die Verärgerung der Amerikaner über den Hausherrn im Zarenpalast ist groß - nicht nur weil er US-Außenminister John Kerry wegen dessen Beschreibung des Syrienkonflikts der Lüge bezichtigt: "Er lügt, und er weiß das. Das ist traurig." Die US-Regierung hält Putin ihrerseits vor, den Sicherheitsrat mit seiner Blockade "als Geisel" zu halten und dem syrischen Regime den Rücken zu stärken.
China versteckt sich hinter Russland
Die Veto-Macht China mauert zwar ähnlich, kommt aber ungeschoren davon - weil sie sich hinter Russland versteckt. Obama spricht gegenüber Staats- und Parteichef Xi Jinping von "großen Fortschritten" in den Beziehungen. Der neue starke Mann Chinas will gar nicht über Syrien reden, sondern über Wege zu wirtschaftlichem Wachstum. Er nutzt sein Debüt auf dem G20-Gipfel, um allen ins Gewissen zu reden: Jeder müsse sein eigenes Haus in Ordnung bringen.
Gegenwind spüren die USA auch wegen ihrer Pläne, angesichts positiver Wachstumszeichen ihre ultralockere Geldpolitik auslaufen zu lassen. Indiens Premier Manmohan Singh mahnt zu einem "geordneten" Ausstieg aus der Zeit des billigen Dollars. Börsen und Währungen in den bislang boomenden Schwellenländern brechen ein, weil die Kapitalzuflüsse plötzlich versiegen.
BRIC-Staaten wollen Fonds auflegen
Zwar einigen sich die Brics-Staaten Brasilien, Russland, China, Indien und Südafrika auf einen Reservefonds über 100 Milliarden US-Dollar, doch Chinas Vizefinanzminister Zhu Guangyao sagt sofort: "Jetzt ist nicht die Zeit für Rettungspakete." Die betroffenen Staaten sollten Reformen einleiten und selber klar kommen.
Vage bleibt der Aktionsplan für Wachstum und Arbeit, den der Gipfel verabschiedet. Allein die Pläne im Kampf gegen Steuerflucht können als Erfolg verbucht werden, da sie den Druck auf Steueroasen und Konzerne verstärken, die Gewinne verschieben. Doch die Umsetzung ist schwierig. Der Austausch von Steuerinformationen sei "hoch komplex", mahnt Finanzminister Wolfgang Schäuble zu Geduld.
Am Ende stellt sich die Frage, ob die G20-Familie überhaupt in der Lage ist, große Krisen in der Welt zu bewältigen. Die bunte Truppe, die an sich zwei Drittel der Weltbevölkerung repräsentiert, ist schon in sich zersplittert - in kleine Gruppen wie die G8, die Europäer oder die Brics, die sich auch nicht grün sind.
Wirkten sie unter dem Druck der Finanzkrise 2008 handlungsfähig, wächst nun Kritik an zunehmend mageren Gipfelbeschlüssen. Wie die Syrienkrise zeigt, können die G20 auch die Vereinten Nationen nicht ersetzen. Es gibt nicht einmal ein Sekretariat - und die Themen wechseln jährlich mit der G20-Präsidentschaft. Reformen sind gefordert. Eine Alternative gibt es aber momentan nicht. Und so kommentiert ein Gipfelteilnehmer das Familienfoto: "Verwandtschaft kann man sich auch nicht aussuchen."